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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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Utters Magazin war nicht richtig eingerastet, wodurch der Bolzen die vordere Kante blockierte, was ein verbreitetes Problem mit dem M 16 war. Ich half ihm, feuerte eine kurze Salve ab und gab es ihm zurück. Ich fragte ihn, wo sein Truppführer sei. Er wusste es nicht genau. Irgendwo da drüben.
    Ich sah über den Rand unserer Einbuchtung und stellte fest, dass sie das Gebüsch sorgfältig bis auf Kniehöhe gekürzt hatten. Ich war lange genug in Vietnam, um zu wissen, dass dort ein Maschinengewehr in Stellung gebracht worden war. Sie schossen auf Beinhöhe, wer getroffen wurde, fiel in den Todesbereich und wurde von Kugeln zerfetzt.
    Ich packte Utter beim Hemd und zwang seinen Kopf über die Kante, um ihm die Falle zu zeigen. Ich schrie ihn an, keinesfalls dort hochzugehen, sondern einen Umweg zu nehmen. Er starrte auf das kurz geschnittene Gebüsch. Ich zog ihn wieder nach unten und sagte ihm, er solle bleiben, wo er war. Ich würde einen Truppführer suchen, und wir würden ein Team zusammenstellen und das Maschinengewehr von der linken Seite angreifen. Geh nicht da hoch. Er nickte, immer noch benommen vor Angst. Ich ließ ihn ein paar Salven abgeben. Er nickte, er war okay. Damit ließ ich ihn zurück, um den Angriff auf das Maschinengewehr zu organisieren, aber kaum dass ich den Schutz der Mulde verlassen hatte, sah ich Utter loslaufen, direkt den Hang hinauf. Ich werde nie erfahren, warum. Vielleicht wollte er ein Held sein. Vielleicht wollte er mir einfach nur zeigen, dass er ein guter Marine war.
    Mein früherer Platoon Sergeant, Staff Sergeant Bell, kam von der gegenüberliegenden Seite gelaufen. Sein Funker, Lance Corporal Putnam, war dicht hinter ihm. Bell, ein großartiger Platoon Sergeant, machte genau das, was ich vorhatte: Er versuchte, zwei Trupps zusammenzubringen, aber von der anderen Seite. Damit wurde die Lücke geschlossen.
    Ich schrie zu ihm hinüber: »Utter ist gerade den Hang rauf auf das Maschinengewehr zu. Wo zum Teufel ist der zweite Trupp?«
    Er deutete über die Schulter und lehnte sich gegen den Hang. Seine Brust hob und senkte sich. Ich sah eine Bewegung im Gestrüpp und hörte das Schießen eines M 16 . Bell und der zweite Truppführer hatten die Lücke geschlossen.
    Dann hörten wir alle, wie das feindliche Maschinengewehr das Feuer eröffnete. Man erkennt es klar an seinen schweren Knallgeräuschen, methodisch und wie von Hammerschlägen, ganz anders als die eher klatschenden Schläge der AK - 47 oder das angespannte, hohe Schreien unserer eigenen M 16 er.
    Ich hörte Utter aufschreien: »Ich bin getroffen!«
    Das Maschinengewehr feuerte weiter.
    Ich sah Bell an und er mich. Er schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander. Endlich sagte ich: »Ich hab nichts anderes zu tun. Ich geh ihn holen.«
    Bell sah mich an und sagte: »Gehen Sie da nicht hoch, Lieutenant.«
    Ich fühlte mich gleich dreifach zerrissen. Ich kannte Utter seit Monaten. Er war mein Junge, auch wenn ich gerade ersetzt worden war. Er war getroffen. Ich wollte ihn einfach nur holen, bevor er verblutete. Ein anderer Teil von mir schrie danach, auf Bell zu hören und in Sicherheit zu bleiben. Und dann war da der dritte Teil: Ich wollte eine Auszeichnung.
    Ich hatte immer schon eine Auszeichnung gewollt, seit ich die Orden meines Vaters aus dem Zweiten Weltkrieg gesehen hatte, seit ich Audie Murphy in
Zur Hölle und zurück
erlebt hatte, seit ich nie als Erster ausgewählt worden war, wenn zwei Mannschaften gebildet wurden. So lange schon. Es reichte nicht, heldenhafte Dinge zu tun, es musste auch anerkannt werden. Ich musste dafür sorgen, dass mir ein Band an die Brust geheftet wurde, damit die anderen Marines zu Hause nicht nur wussten, ich war dabei gewesen, sondern auch, dass ich Herausragendes vollbracht hatte. Ich wollte über das Normalmaß hinaus, wollte etwas Besonderes in einer besonderen Gruppe sein.
    Ich habe mal jemanden Napoleon zitieren hören, der gesagt haben soll, eine Armee marschiert sozusagen mit dem Magen und mit ihren Orden. Dieser Mann hat das Verlangen begriffen, sich als jemand Besonderes zu fühlen und wie es einen motivieren kann. Dieser Mann, der der Retter der Französischen Revolution mit all ihren Idealen hätte sein können, so verehrt wie George Washington, verdarb es, indem er sich selbst zum Kaiser machte. Auch er wollte etwas Besonderes sein.
    Als ich zum ersten Mal aus Vietnam zurückkam, hatte ich noch keinen Orden, nur meine zwei Purple Hearts und das Combat Action

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