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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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mir und ob ich meinen Zickzack-Sprint mit dem ganzen Gewicht durchstehen würde. Ich lieferte mir ein Vierhundertmeterrennen mit dem Tod. Es war ein langes, verzweifeltes Wochenende, wie aus der Zeit gefallen.
    Ich beschrieb einen langen Bogen, um zwischen den Maschinengewehrbunker und den, zu dem ich wollte, zu kommen, und auch, um die M 79 -Granaten zu vermeiden, die jetzt vor dem Beobachtungsschlitz explodierten und die Männer dahinter, wie ich hoffte, blendeten. Während ich den Bogen lief, wandte ich mich seitwärts zum Hügel und fing eine Bewegung aus dem Augenwinkel auf, warf mich zu Boden, rollte zur Seite und richtete mich in Feuerstellung auf. Aber es war ein Marine! Er war etwa fünfzehn Meter unter mir, lief im Zickzack, fiel, rappelte sich wieder hoch und lief weiter. Und direkt hinter ihm kam eine breite, zackige Reihe Marines in einer Front den Hang hinaufgewogt, hinter mir her. Zwischen ihnen lagen zusammengekrümmte Körper, die getroffen worden waren.
    Alle folgten mir. Tatsächlich war ich nur ein paar Sekunden allein gewesen. [67]
    Wir nahmen den Bunker ein, und dann den nächsten, und zusammen mit dem zweiten Zug, der von der rechten Flanke zu uns stieß, durchbrachen wir die erste Bunkerlinie, um gleich unter Feuer von der zweiten, inneren, aus Erdlöchern bestehenden Verteidigungslinie etwas höher am Hang zu kommen. Jetzt sah ich auch den vermissten Niemi wieder, der den Kopf hob. Er sprintete ganz allein den offenen Hang hinauf. Die NVA drehte sich in einer ihrer Stellungen, um auf ihn zu schießen. Ich sah, wie er oben auf einen Bunker sprang und zwei Granaten hineinwarf. Als sie explodierten, sah ich ihn fallen und nahm an, dass sie ihn nun tatsächlich erwischt hatten.
    Durch Niemi von hinten getroffen worden zu sein, verunsicherte die NVA und ermutigte uns, zu ihm aufzuschließen. Alle scheinbaren Zug- oder Truppordnungen waren mittlerweile dahin. Alles vermischte sich, eilte vor, wich aus, gab Deckung und nahm Bunker um Bunker, Loch um Loch in individuellen Formationen ein.
    Etwa zu der Zeit ging ich zu Boden und wurde von einer Handgranate geblendet. Wie betrunken kam ich wieder zu mir. Ich konnte meinen Funker hören, der sehr weit weg schien und dem Chef berichtete, dass ich daläge und er nicht wisse, ob ich tot sei. Ich grunzte etwas, damit er sah, ich war nicht tot, und versuchte mich aufzusetzen, fiel aber gleich wieder zurück. Ich hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Und dann geriet ich in Panik, weil ich einen Schlag vor die Augen bekommen hatte. Ich rieb sie verzweifelt, um sie aufzubekommen, aber sie waren wie zugeklebt. Mein Funker schüttete mir Brausewasser aus seiner Trinkflasche über Gesicht und Augen, und ich bekam eines frei. Das andere war blutig und dreckverschmiert, und ich dachte, ich hätte es verloren. [68]
    Wir klommen weiter nach oben und versuchten, Niemi zu erreichen, versuchten, zu gewinnen, versuchten, es hinter uns zu bringen. Ich wurde von zwei feindlichen Soldaten in einem Erdloch aufgehalten und versuchte, ein, zwei Schuss auf sie abzufeuern, um mich daraufhin gleich wieder wegzuducken, als sich ein Junge aus dem zweiten Zug, den ich hauptsächlich wegen seines schlechten Rufes kannte, neben mich warf. Die Hälfte seiner Kleider war von ihm gerissen, und er bettelte um ein Gewehr. Seines war ihm aus den Händen geschossen worden.
    Er war ein Schwarzer, tief verstrickt in Black-Power-Geschichten und so gut wie immer voller Wut und mürrisch. Ein Störenfried. Jetzt lag er hier, fast nackt, die Reste seiner Dschungeluniform in Fetzen, und bettelte um ein Gewehr, wo er doch eine perfekte Entschuldigung hatte, um den Kopf unten zu halten und sich aus allem Weiteren herauszuhalten. Ich gab ihm meines. Ich hatte noch meine Pistole. Er packte das Gewehr, richtete sich zu voller Größe auf, ohne Deckung, und leerte das Magazin auf die beiden Soldaten vor uns. Er tötete sie. Damit warf er sich zurück in die Schlacht und überwältigte mich für einen Augenblick.
    Warum? Für wen tat er das? Was war aus diesem jungen Burschen geworden? Wir wuchsen über uns hinaus, über die Politik, über Gut und Böse. Hier wurde alles überschritten.
    Viele von uns waren mittlerweile fast bis nach oben durchgedrungen. Der Kampf fand nicht länger zwischen der oben sich verteidigenden NVA und den von unten angreifenden Marines statt, sondern alles war vermischt. In dieses Durcheinander brach ein brennender, rauchender zweirotoriger CH - 46 -Hubschrauber. Er brachte

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