Was fühlt mein Hund, Was denkt mein Hund
mehr Körperkontakt, legte sich ständig zu meinen Füßen. Ich erkannte ihn kaum wieder. Er, der sonst bis zur Penetranz fordernd sein kann, war plötzlich ein sanftes Lamm.
Als hätte er verstanden, unter welchem enormen Stress ich stand, schien er sich zu sagen: »Oh, Frauchen geht es gar nicht gut.
Da mache ich mich mal ganz klein, falle nicht weiter auf und zeige ihr, dass ich sie lieb habe.« Ich wüsste zu gern, wie so eine Verwandlung möglich ist? Oder kann es sein, dass ich mich die ganze Zeit über in meinem Hund getäuscht habe?
Junge Hunde müssen erst lernen, dass in einer Gemeinschaft jeder Bedürfnisse hat.
GÜNTHER BLOCH: Lupos sensible Verhaltensanpassung zeigt auf geradezu vorbildliche Art, wie feinfühlig Hunde sind. Sie haben ihre Emotionen und ihr Wesen über die Jahrtausende an den Menschen angeglichen. Und das war bei Weitem kein einseitiger Evolutionsprozess. Denn mit Sicherheit hat sich auch unsere Spezies in der Frühzeit so manche sozioemotionale Gepflogenheit, die für ein verständnisvolles Zusammenleben in der Gruppe und den Umgang miteinander unverzichtbar ist, vom Wolf abgeschaut.
In der Kanidengemeinschaft ist man füreinander da – in guten wie in schlechten Zeiten.
Hunde sind überaus mitfühlend
Doch unsere Vierbeiner haben nicht nur gelernt, unser Ausdrucksverhalten zu entschlüsseln, unsere Gestik und Mimik genau zu deuten und daraufhin Rückschlüsse auf unser Verhalten zu ziehen. Ihre Empfindsamkeit gegenüber anderen liegt ihnen gewissermaßen auch in den Genen. Und damit sind wir schon mittendrin im Thema: Hunde sind keinesfalls Egoisten. Lupo wird da keine Ausnahme machen, auch wenn er ein eher forscher Grundcharaktertyp ist.
Sicher, junge Welpen sind gelegentlich tatsächlich nur daran interessiert, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Aber bei erwachsenen Kaniden ist das anders: Sie haben gelernt, sich unabhängig von Rang und Geschlecht umeinander zu kümmern. Sie verfügen über die Fähigkeit, sich in schlechten Zeiten Trost zu spenden und Mitgefühl zu zeigen. Unsere Langzeituntersuchungen an Timberwölfen in Kanada, aber auch an verwilderten Haushunden in der Toskana belegen klipp und klar, dass momentane Schwäche, Verletzbarkeit oder eine vorübergehende Veränderung nicht automatisch zu ernsten Auseinandersetzungen oder gar offensiv ausgetragenen Statuskämpfen führt.
Vielmehr erhalten verletzte und kranke Familienmitglieder sozioemotionale Unterstützung und Hilfe bei der Nahrungsversorgung. Diese Eigenschaft ist bei Hunden zwar weniger ausgeprägt als bei Wölfen, aber sie exisitiert.
Der rücksichtsvolle Lupo macht seinem Namen also alle Ehre. Sein Verhalten ist ein Musterbeispiel für die kanidentypische Grundeigenschaft, auf bedrückte Gruppenmitglieder nicht nur Rücksicht zu nehmen, sondern sich in ihr momentanes Befinden hineinversetzen zu können. Lupo hat am Verhalten seines Frauchens ganz klar erkannt, dass sich auf der sozioemotionalen Beziehungsebene etwas verändert hat. Und so ist es für ihn völlig normal, sich selbst erst einmal zurückzunehmen und sich um sie zu »kümmern«.
Aufzupassen, wenn es seinem Frauchen schlecht geht, ist für Lupo eine Selbstverständlichkeit.
Empfinden Hunde auch so etwas wie Mitleid?
NINA RUGE: Als ich vor einiger Zeit nach einem ambulanten Eingriff am Knie auf Krücken und noch etwas lädiert von der Narkose nach Hause kam und Lupo notgedrungen nur sehr verhalten begrüßte, reagierte er unerwartet »vernünftig«. Normalerweise wäre er so lange um mich herumgesprungen und hinter mir hergeschwänzelt, bis ich ihn wie gewohnt mit Knuddeln, Kraulen und Jubel begrüßt hätte. Doch nein. Ein sanfter, hoch gesitteter Entlebucher begleitete mich gemessenen Schrittes zur Couch, beschnupperte die Krücke am Boden, wartete, bis ich die Decke über mir ausgebreitet hatte, und sprang dann mit einem Satz zu mir. Damit er meinem verbundenen Knie auf keinen Fall zu nahe kam, machte er sich neben mir lang und dünn und legte seinen Kopf entspannt auf meinen Bauch. Nicht, dass das eine unserer üblichen Schmusestellungen wäre. Lupo darf eigentlich gar nicht aufs Sofa, und es hat bisher auch keineswegs den Anschein erweckt, dass er dies gerne täte.
Aber scheinbar dachte er nun, dass außergewöhnliche Blessuren außergewöhnliche Maßnahmen erforderten.
Aufmerksam geworden durch dieses Erlebnis, achte ich seitdem darauf, wie Lupo sich verhält, wenn sich einer von uns wehtut.
Tatsächlich ist er immer sofort
Weitere Kostenlose Bücher