Was fühlt mein Hund, Was denkt mein Hund
Das Leben war schön!
Was war mit meinen Hunden los?
Doch dann kam Evelyn. Evelyn ist eine ältere Dame aus der Nachbarschaft. Wir hatten überlegt, ob sie nicht ab und zu mit Lupo rausgehen könnte. Und was machte Lupo, als sie das erste Mal zu uns kam? Er rannte nach respektvollem Absitzen erwartungsvoll mit seinem Lieblingsball auf sie zu. Schwanzwedeln, Rehaugen, »Du-wirst-mich-doch-nicht-enttäuschen«-Blick: das komplette Programm. Damit war es um Evelyn geschehen, und zwar nachhaltig.
Als Vroni ins Haus kam, bot Evelyn an, auch mal abends auf die Hunde aufzupassen.
Lupo und Vroni waren begeistert. Allein wenn »Tante« Evelyn klingelte und in der Tür stand, gab es kein Halten mehr. Unsere beiden Vierbeiner freuten sich ein Loch in den Bauch. Und ich? Ich sah das alles mit großem Wohlgefallen. Schließlich schien es den Hunden ja supergut zu gehen.
Irgendwann jedoch schlichen sich nach und nach neue Sitten ein: Wenn ich am Schreibtisch saß, begann Lupo zu nerven. Früher lag er gemütlich auf seiner Decke zu meinen Füßen. Jetzt suchte er ständig nach Spielzeug und bellte, wenn er nichts fand. Gab ich seinen Forderungen nach, wollte er kein Ende mehr finden. Mein übliches »Schluss!
Finito!« wurde zwar respektiert, aber schon bald ging die Nerverei von vorne los. Das Schlimmste war: Wenn ich nach einigen Stunden Abwesenheit nach Hause zurückkam, fiel die Begrüßung mehr als mau aus.
Kurzes Anschauen, freundliches Anhecheln, abdrehen und weg.
Braucht es so viel Abwechslung?
Ich hatte genug – und fragte Evelyn geradeheraus, was sie bloß mit den Hunden anstellte. Sie antwortete begeistert: »Ich lese ihnen jeden Wunsch von den Augen ab!
Wir kuscheln stundenlang, ich spiele ständig – natürlich mit beiden –, wir gehen gemeinsam auf die Hundewiese und haben Spaß mit ihren Spielkameraden …«
»Ja, gibt es denn gar keine Pause im Hundeprogramm?«, fragte ich entsetzt. »Nein, wieso denn? Wenn ich schon da bin, dann geht natürlich die Post ab«, strahlte Evelyn.
Da war ich dann doch verunsichert. ICH hatte den Bedürfnisrahmen meiner Hunde gesetzt. Klar, das war ein Kompromiss zwischen meinen eigenen Bedürfnissen und der Hunde-Lust. Lupo und Vroni mussten ihren Rhythmus auf den meinen einstellen, und das schien ihnen auch sehr gut zu bekommen. Doch Evelyn hatte offenbar mit ihrer unendlichen Hundeliebe ein ganz neues Anspruchsdenken bei den beiden geweckt.
Pausenloses Entertainment? Gerne! Und wenn das extrem hohe Level nicht befriedigt wird, dann reagieren sie eben mit Frust.
Mit viel Überzeugungsarbeit ist es mir zum Glück gelungen, Vroni, Lupo und Evelyn etwas »herunterzuholen«. Das dauerte zwar ein wenig, aber es hat geklappt. Trotzdem bin ich mir seitdem unsicher, welche Bedürfnisse Hunde wirklich haben. Nehme ich mir zu wenig Zeit? Aber ich frage mich natürlich auch, ob man die Tiere durch zu viel Aufmerksamkeit nicht zu verwöhnten »Gören« macht, die kaum noch zufriedenzustellen sind.
GÜNTHER BLOCH: Dass man Hunde durch pausenlose Unterhaltung verzieht, ist eigentlich klar. Noch dazu ist Entertainment von morgens bis abends alles andere als kanidentypisch. Stattdessen brauchen Hunde zum seelischen Ausgleich sehr viel Schlaf. Es ist für sie ganz normal, pro Tag mehrere lange Inaktivphasen in Ruhe zu verbringen. Obwohl (oder weil) Wölfe zwangsläufig viel Zeit mit der Nahrungsbeschaffung verbringen müssen, brauchen sie auch genügend Pausen – als Ausgleich. Sie »verpennen« im Schnitt etwa zwei Drittel ihres Lebens.
Und Hunde sind da nicht anders. Unsere Verhaltensstudien an verwilderten Haushunden in Italien zeigen, dass auch sie tagtäglich viel öfter inaktiv sind als aktiv. Dies sollte uns in Zeiten des permanenten »Beschäftigungswahns« zu denken geben.
Genug gespielt. Wer ständig herumsaust, braucht auch mal eine Pause.
Auch Ruhephasen sind wichtig
Jeder »moderne« Haushund hat das Recht, mehrmals täglich in angemessenem Rahmen rennen, springen, buddeln, schnüffeln, pinkeln und mit Ersatzbeutestücken herumhantieren zu dürfen. Ist dies der Fall, sind die biologischen Grundbedürfnisse zufriedenstellend abgedeckt. Um körperlich und geistig auch auf sozioemotionaler Ebene ausgelastet zu sein, brauchen Hunde zudem regelmäßige Zuwendung, Streicheleinheiten, freundliche Kontaktaufnahmen und – nicht zu vergessen – Spielangebote in lockerer Atmosphäre. Ideal ist es, sich während der drei bis vier hundetypischen Aktivphasen am Tag intensiv
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