Was geschah mit Angelika H.
Wohnungsamt mit bürokratischer Schlauheit aus dem Stadtbild verbannt; Ausländer, die nach Meinung der meisten deutschen Vermieter von Rechts wegen nach Rimini oder an die Costa Brava gehörten, um dort den Neckermanntouristen als Kellner und Schuhputzer zu dienen.
Um die Betonburgen zu füllen, hatte die Verwaltungsgesellschaft sogar die Mieten reduziert, zunächst ohne spürbaren Erfolg, bis ab Mitte der achtziger Jahre die Aus- und Übersiedlerströme aus dem Osten den Wohnungsmarkt überflutet hatten, und inzwischen konnte man in Chorweiler nicht einmal mehr eine Besenkammer bekommen.
Nur an der trostlosen Atmosphäre der Trabantenstadt hatte sich nichts geändert.
Schon als Markesch aus dem Auto stieg und zu den anonymen Betonklötzen mit ihren schwalbennestgroßen Balkonen aufblickte, hatte er das Gefühl, ersticken zu müssen. Wer hier wohnte, der mußte das Atmen verlernen, um zu überleben. Zwischen den Häusern lagen stoppelige Grünflächen, doch statt so etwas wie Weite zu vermitteln, ließen sie die Betonklötze noch furchterregender erscheinen. Der Sturm hatte die Straßen leergefegt, und nur die geometrischen Muster der erleuchteten Fensterreihen verrieten, daß hier Menschen lebten.
Er schlug den Kragen hoch und kämpfte sich zum nächsten Hochhaus vor. Die Böen zerrten an ihm, als wollten sie ihm Fesseln anlegen, und als er im Windschatten des Hauses ankam, war er erschöpft wie nach einem 1000-Meter-Lauf. Im stillen dankte er der Deutschen Bundespost für die Herausgabe des Telefonbuches, in dem er Fredy Boruschkas Adresse gefunden hatte. Alle Hochhäuser nach ihm abzusuchen, wäre unter den gegebenen Witterungsbedingungen zweifellos sein Tod gewesen.
Die Haustür stand offen; das Schloß war defekt. Und auch der Rest des Gebäudes war in einem Zustand, der nach der Totalsanierung mit der Abrißbirne verlangte. Abbröckelnder Putz, beschmierte Wände, ein Aufzug, in dem es nach Urin stank und der natürlich nicht funktionierte.
Rücksichtsvollerweise wohnte Boruschka im fünften Stock.
Und er wohnte nicht allein, wie Markesch feststellte, als er vor der Wohnungstür stand und jenes wüste Geschrei hörte, wie man es nur bei einem Liebespaar im Endstadium der Zerrüttung fand.
Markesch schnitt eine Grimasse und drückte auf den Klingelknopf. Er haßte es, in eine Beziehungskrise hineinzuplatzen, doch in seinem Job konnte man nicht wählerisch sein, und er konnte sich auch nicht vorstellen, daß es für einen Besuch bei Boruschka überhaupt einen günstigen Zeitpunkt gab.
Das Klingeln wurde ignoriert.
Erst als er Sturm läutete, wurde die Tür aufgerissen, und Markesch sah Fredy Boruschka in seiner ganzen Herrlichkeit vor sich.
Bikshu Arupa hatte behauptet, daß er Ähnlichkeit mit ihm hatte, aber wenn das nicht den Tatbestand der Beleidigung erfüllte, dann gab es keine Beleidigungen auf der Welt. Einen ganzen Kopf größer als Markesch, das Gesicht aufgeschwemmt und vom Bluthochdruck gerötet, früher vielleicht muskulös, jetzt aber sichtlich verfettet, nur mit einem schlabbrigen Unterhemd, schlabbriger Unterhose und schlabbrigen Socken bekleidet, eine Bierflasche in der Hand, eine qualmende Zigarette im Mundwinkel, schien er genau die Sorte Mann zu sein, die die Emanzipation der Frau schon aus Gründen des guten Geschmacks erforderlich machte.
Aus bösartigen kleinen Augen starrte er Markesch an, paffte ihm eine dicke Qualmwolke ins Gesicht und fragte ohne jede Freundlichkeit: »Was wollen Sie? Was verkaufen? Wir kaufen nichts.«
»Ich bin der fröhliche Staubsaugervertreter«, sagte Markesch heiter. »Ihr Staubsauger hat uns angerufen und einen neuen Staubbeutel bestellt, und schon bin ich da!«
Boruschka kniff die Augen zusammen. Seine Zigarette wanderte langsam in den anderen Mundwinkel. »Was soll’n der Scheiß? Hier hat keiner angerufen. Wollen Sie mich verarschen oder was?«
»Nur ein matter Scherz. Mein Name ist Markesch. Ich bin Privatdetektiv. Ich habe ein paar Fragen an Sie und …«
»Verpiß dich«, grunzte Boruschka und schloß die Tür.
Im letzten Moment schob Markesch seinen Fuß dazwischen. »Sie sollten besser mit mir reden. Es geht um Angelika Hilling. Ihre Halbschwester.«
»Kenn’ ich nicht. Nie gehört. Und jetzt weg mit dem verdammten Fuß, oder ich …«
Boruschka verstummte und starrte wie hypnotisiert auf den Hundertmarkschein, den Markesch zwischen den Fingern hielt. Ein schmieriges Lächeln glitt über sein aufgeschwemmtes Gesicht, und er riß die
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