Was geschah mit Angelika H.
daß diese Entführung – genau wie ihr monatelanges Schweigen – Teil eines Psychodramas ist.«
»Denkbar ist alles«, räumte Markesch ein. »Aber wollen Sie darauf eine Wette eingehen? Die Übergabe des Geldes platzen lassen? Und wenn Sie sich irren, was dann?«
»Natürlich werde ich das Geld übergeben! Ich meine, in gewisser Hinsicht ist es ja auch Angelikas Geld. Schließlich wird sie alles erben, wenn Anton stirbt. Viel mehr als nur diese Viertelmillion.«
Roth klopfte gegen den Koffer.
Allmählich begriff Markesch, worauf er hinaus wollte. »Sie glauben, ein echter Entführer hätte wesentlich mehr Geld verlangt?«
»Anton könnte problemlos das Zehnfache zahlen«, nickte Roth. »Verstehen Sie jetzt, daß es mir schwerfällt, an eine Entführung zu glauben?«
»Überschätzen Sie nicht die Intelligenz der Kriminellen. Die meisten Ganoven können es an Intelligenz nicht einmal mit einer Zahnbürste aufnehmen.« Er sah auf seine Uhr. »Okay, ich habe noch ein paar Vorbereitungen zu treffen. Sorgen Sie dafür, daß Sie spätestens um halb vier am Neumarkt sind, am Taxistand an der Schildergasse. Und wundern Sie sich nicht, wenn Sie mich nicht sofort erkennen.«
Markesch grinste.
»Nicht umsonst nennt man mich auch den Meister der Maske. Ich glaube, ich habe eine gute Idee, wie ich Sie und den Koffer im Auge behalten kann, ohne daß unser Entführer mißtrauisch wird.«
»In Ordnung. Ich werde pünktlich sein.« Roth wandte sich ab und ging zu dem feuerwehrroten Porsche.
»Ach, Doktor …«
»Ja?«
Markeschs Grinsen wurde noch eine Spur breiter. »Passen Sie auf den Koffer auf. Es wäre doch jammerschade um das viele Geld.«
»Sie können sich auf mich verlassen«, antwortete Roth sichtlich pikiert. Er riß die Wagentür auf, stieg ein und fuhr grußlos davon.
Markesch sah dem Porsche nach, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war. Dann wanderten seine Blicke zu seinem altersschwachen, rostigen Ford, und eine steile Falte erschien auf seiner Stirn.
Warum bin ich eigentlich nicht Psychiater geworden? fragte er sich verdrossen. Als Privatschnüffler hat man auch nur mit Verrückten zu tun, aber man wird wesentlich schlechter bezahlt. Hätte ich mir rechtzeitig eine Couch zugelegt, würde ich jetzt auch Porsche fahren. Ich könnte von den Macken meiner lieben Mitmenschen in Saus und Braus leben! Statt dessen muß ich mich mit Kidnappern, Schutzgelderpressern und Mafiakillern herumschlagen. Ich muß wirklich verrückt sein!
Und mit diesen erhebenden Gedanken machte er sich auf den Rückweg nach Köln, entschlossen, sich so bald wie möglich eine Couch anzuschaffen, oder zumindest eine Flasche Scotch, sollte sich die Couch als zu teuer erweisen.
Sie würde bestimmt zu teuer sein.
Keine Frage.
Einfach unerschwinglich.
Und überhaupt …
8
Der Weihnachtsmarkt auf dem Kölner Neumarkt war vielleicht nicht der schönste der Republik, dafür aber der glühweinseligste. An jeder zweiten Bude wurde der heiße, rote, mit diversen Gewürzen auf festlich getrimmte Rebensaft ausgeschenkt und von den Massen der Besucher in Massen genossen. Die Kerzenhändler und Schmuckverkäufer, die Lamettadealer und Lebkuchenbäcker und all das übrige geschäftige Volk, das mit dem christlichen Fest der Liebe die schnelle Mark machen wollte, hatte gegen die Glühweinköche keine Chance.
Markesch schwitzte und bahnte sich mühsam einen Weg durch die Menge, die wie eine besonders träge Flutwelle durch die Budengassen wogte. Die Temperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt, aber er schwitzte, als hätte er literweise Glühwein getrunken, und fragte sich zum wohl hundertsten Mal, ob es wirklich so eine geniale Idee gewesen war, sich als Weihnachtsmann zu verkleiden. Der rote Kapuzenmantel bestand aus einem derart schweren, dicken Stoff, daß man ihn ohne weiteres zur Wärmedämmung in Dachstühlen verwenden konnte, und vermittelte ihm das Gefühl, sich im Innern einer tragbaren Minisauna zu befinden. Außerdem kitzelte der weiße Rauschebart, als wollte er ihn noch vor Sonnenuntergang um den Verstand bringen, und in den zwei Nummern zu kleinen Stiefeln rieb er sich die Füße wund.
Es war eine verdammte Art, auf Kidnapperjagd zu gehen.
Aber am schlimmsten waren die Kölner Pänz.
Ihnen fehlte jeder Respekt vor dem Weihnachtsmann.
Einige hängten sich quengelnd an seinen Mantel, um ihm auf der Stelle ein Skateboard, einen Walkman oder einen Heimcomputer abzupressen; andere traten ihm wütend gegen das
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