Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
hin und her gerissen.
»Das bezweifle ich« war alles, was ich herausbrachte. Sein Gesicht war nur noch Zentimeter von meinem entfernt. Ich würde ihn küssen und es bitter bereuen.
Doch in diesem Moment war mir das egal.
18
I chhabe gehört, dass er ihr eine E-Mail mit einem Bild von seinem – oh. Hi, Noah.« Die Stimme brach mitten im Satz ab und ich konnte die gespielte Schüchternheit darin hören.
Noah schloss die Augen. Er trat zurück und wandte sich zu den Eindringlingen um. Ich versuchte blinzelnd, wieder scharf zu sehen.
»Ladys«, begrüßte er die mit offenem Mund dastehenden Mädchen. Dann ging er hinaus.
Die Mädchen kicherten und warfen mir immer wieder verstohlene Blicke zu, während sie vor dem Spiegel ihr zerlaufenes Make-up erneuerten. Ich starrte sprachlos und geschockt zur Tür. Erst als es läutete, fiel mir wieder ein, wozu meine Beine da waren.
Ich sah Noah erst am Mittwochabend wieder. An diesem Tag war ich aus Schlafmangel, allgemeinem Unwohlsein und Angst vor dem, was sich zwischen Noah und mir abgespielt hatte, ziemlich von der Rolle. Am Montag hatte er mich stehen lassen, als wäre nicht das Geringste passiert. Genau, wie Jamie es vorhergesagt hatte. Und ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, es hätte nicht wehgetan.
Ichhatte keine Ahnung, wie ich ihm gegenübertreten sollte, wenn ich ihn wiedersah. Aber der Englischunterricht kam und ging, ohne dass er auftauchte. Ich machte mir pflichtbewusst Notizen, drückte mich nach der Stunde vor dem Klassenraum herum und hielt auf dem ganzen Campus Ausschau nach Noah, ohne zu verstehen, warum.
Im Matheunterricht versuchte ich mich auf die ganzrationalen Funktionen und Parabeln zu konzentrieren, doch es wurde immer deutlicher, dass ich, während ich in Bio, Geschichte und Englisch den Anschluss fand, in Mathe ein Problem hatte. Mr Walsh rief mich im Unterricht zweimal auf und beide Male lag ich mit meiner Antwort erschütternd weit daneben. Jede eingereichte Hausaufgabe war von oben bis unten mit wütenden roten Korrekturen bedeckt und unten auf dem Blatt mit einer hundsmiserablen Note versehen. In wenigen Wochen standen die Prüfungen an und ich hatte nicht die geringste Hoffnung, den Stoff noch aufholen zu können.
Nach dem Ende der Stunde fing ich ein paar seltsame Gesprächsfetzen auf, die mich in meinen Gedankengängen unterbrachen.
»Ich habe gehört, sie ist aufgefressen worden, nachdem man sie umgebracht hat. So eine Kannibalensache«, sagte ein Mädchen hinter mir. Sie unterstrich ihre Bemerkung mit einem Kaugummiknallen. Ich drehte mich um.
»Du bist so dämlich, Jennifer«, erwiderte jemand, der, wie ich zu wissen glaubte, Kent hieß. »Das waren Alligatoren und keine Kannibalen.«
Ehe ich mehr erfahren konnte, knallte Jamie sein Ringbuch auf meinen Tisch. »He, Mara.«
»Hastdu das gehört?«, fragte ich ihn, als Jennifer und Kent hinausgegangen waren.
Zuerst sah Jamie verwirrt aus, doch dann schien es ihm zu dämmern. »Ach so. Jordana.«
»Was?« Der Name kam mir irgendwie bekannt vor und ich versuchte mich zu erinnern, woher.
»Jordana Palmer. Sie ging in die zehnte Klasse der Dade Highschool. Ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der sie gekannt hat. So in der Art. Eine wirklich traurige Geschichte.«
Die Puzzlestücke fielen an ihren Platz. »Ich glaube, ich habe irgendwas darüber in den Nachrichten gehört«, sagte ich leise. »Was ist mit ihr passiert?«
»Die ganze Geschichte kenne ich nicht. Nur, dass sie eigentlich zu einer Freundin wollte und … nie dort angekommen ist. Sie haben sie ein paar Tage später gefunden. Und sie ist definitiv ermordet worden, aber keine Ahnung, wie. Ihr Dad ist Polizist und ich glaube, sie halten es unter dem Deckel. He, ist alles okay mit dir?«
In diesem Moment schmeckte ich das Blut. Ich hatte mir die Unterlippe aufgebissen.
»Nein«, bekannte ich offen und machte mich auf den Weg.
Jamie folgte mir. »Willst du es mir erzählen?«
Das wollte ich nicht. Doch als ich Jamies Blick begegnete, war es, als hätte ich keine andere Wahl. Die Last der bizarren Ereignisse – die Anstalt, Rachel, Noah –, all das sprudelte hoch und drängte krampfhaft aus meiner Kehle.
»Ich war in einen Unfall verwickelt, bevor wir hergezogen sind. Meine beste Freundin ist dabei gestorben.« Ich spie die Worte förmlich heraus. Ich schloss die Augen und atmete aus, angewidert von meiner Mitteilsamkeit. Was war bloß los mit mir?
»Das tut mir leid«, sagte Jamie und sah zu Boden.
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