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Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)

Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)

Titel: Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Hodkin
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schwer. Es war ein überwältigendes Gefühl, Noah vor einem Raum voller Leute sitzen zu sehen, während er gleichzeitig nur Augen für mich hatte. In mir geriet etwas ins Wanken durch diese Intimität zwischen uns, durch unsere miteinander verschmolzenen Blicke, während um uns herum zwanzig Bleistifte über Papier kratzten.
    Ich skizzierte und schattierte sein Gesicht praktisch aus dem Nichts, verwischte die geschwungene Linie seines Nackens und gab seinem kriminellen Mund eine dunkle Tönung, während sich sein kantiges Kinn hell gegen den bewölkten Himmel abzeichnete. Ich hörte weder, dass es läutete, noch dass die anderen aufstanden und den Raum verließen. Ich merkte nicht einmal, dass Noah nicht mehr auf dem Hocker saß.
    Dann spürte ich Finger über meinen Rücken tippeln.
    »Hey«, sagte Noah ganz sanft.
    »Hey«, erwiderte ich und beugte mich schützend über das Blatt, auch wenn ich mich halb zu ihm umwandte, um seinem Blick zu begegnen.
    »Darf ich?«
    Ichkonnte es ihm nicht abschlagen, gab aber keine Antwort, sondern rutschte zur Seite, damit er das Bild sehen konnte.
    Ich hörte, wie er die Luft anhielt. Lange Zeit sagte keiner von uns ein Wort. »So sehe ich aus?« Noahs Gesichtsausdruck ließ sich nicht deuten.
    »Für mich schon.« Noah sagte nichts.
    »So habe ich dich in dem Moment eben gesehen«, erklärte ich.
    Noah blieb immer noch stumm. Ich rutschte unruhig hin und her. »Wenn du dir die Zeichnungen der anderen anschaust, sieht jede anders aus«, fügte ich hinzu.
    Noah starrte immer noch auf das Blatt.
    » So schlecht ist es nun auch wieder nicht«, sagte ich und wollte das Buch zuschlagen.
    Noah hielt mich auf. »Nein«, sagte er fast unhörbar.
    »Nein?«
    »Es ist perfekt.«
    Er hielt seinen Blick weiter auf das Bild gerichtet, aber er wirkte – regelrecht entrückt. Ich klappte das Buch zu und steckte es in die Tasche. Als wir hinausgingen, ergriff er mein Handgelenk.
    »Darf ich sie haben?«, fragte er. Ich sah ihn fragend an.
    »Die Zeichnung?«
    »Oh«, sagte ich. »Klar.«
    »Danke«, sagte er und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Ist es sehr unverschämt, dich um eines von dir zu bitten?«
    »EinSelbstporträt?«, fragte ich. Noah nickte lächelnd.
    »Ich habe seit Ewigkeiten keines mehr gemalt«, sagte ich.
    »Dann wird es Zeit.«
    Ich ließ mir die Idee durch den Kopf gehen. Da ich neuerdings Tote im Spiegel sah, würde ich mich ohne Spiegel zeichnen müssen. Ich antwortete mit einem unverbindlichen Achselzucken in Noahs Richtung und versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren.
    Dann hörte ich ein leises Brummen in Noahs Hosentasche. Er zog sein Handy heraus und sah stirnrunzelnd auf das Display.
    »Alles in Ordnung?«
    »Mmm«, murmelte er und starrte weiter auf das Gerät.
    »Eine SMS von deinem Bruder.«
    »Von Daniel? Was will er denn?«
    »Nein, eigentlich von Joseph«, sagte Noah und tippte eine Antwort. »Ein Anlagetipp.«
    Ich hatte wirklich eine merkwürdige Familie.
    Noah schob das Handy wieder in die Hosentasche. »Lass uns im Speisesaal essen«, sagte er unvermittelt.
    »Okay.«
    »Damit hatte ich jetzt nicht – warte, was ist los?« Er sah verwirrt aus.
    »Wenn du es gerne willst, gehen wir hin.«
    Er hob die Augenbrauen. »Das war ja leichter als gedacht. Mein Körper muss dir die Sinne verwirrt haben.«
    Ich seufzte. »Warum tust du eigentlich alles dafür, dass ich dich hasse?«
    »Ich sorge nicht dafür, dass du mich hasst. Ich sorge dafür, dass du mich liebst.«
    Zudumm, dass er recht hatte.
    »Dann gibst du also nach?«, fragte er. »Einfach so?«
    Ich marschierte los. »Viel schlimmer kann es kaum noch kommen, nach allem, was heute schon passiert ist …«
    Noah blieb stehen. »Schlimmer?«
    »Von allen angestarrt zu werden und zu wissen, dass sie sich fragen, was ich mit dir so alles getrieben habe, ist nicht ganz so prickelnd, wie man vielleicht meinen könnte.«
    »Ich wusste es«, sagte Noah nur. Er hielt immer noch meine Hand fest. Sie fühlte sich klein und warm an in seiner. »Ich wusste, dass das passiert«, sagte er noch einmal.
    Ich schob mir die Haare aus der Stirn. »Damit werde ich schon fertig.«
    »Aber das solltest du nicht«, sagte Noah mit bebenden Nasenflügeln. »Ich wollte ihnen zeigen, dass du anders bist. Deshalb … verdammt«, sagte er leise vor sich hin. »Deshalb das alles. Weil du wirklich anders bist.« Sein Gesicht verdüsterte sich und er sah mich wortlos an. Musterte mich. Ich hatte keine Ahnung, was los

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