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Was ich dir noch sagen will

Was ich dir noch sagen will

Titel: Was ich dir noch sagen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer
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mehr erleben zu können.
    Bei der Erinnerung an das Gespräch am Krankenbett musste Lisa schlucken. Ihre Oma hatte Tränen in den Augen gehabt, als sie Lisa in einem sehr bewegenden Moment bat, ihre Tochter – sollte sie jemals eine bekommen – nach ihr zu benennen.
    Lisa erinnerte sich noch genau an ihre Worte und den Klang ihrer schwachen Stimme, als sie sagte: «Mein Mädchen, du musst deine Tochter ja nicht Helene rufen. Es gibt wirklich schönere Namen … Aber als Zweitname ginge es vielleicht, oder? Dann vergesst ihr mich auch nicht so schnell.»
    Lisa wusste es noch genau. Sie hatte ihrer Oma damals mit der Hand zärtlich über die dünne Haut ihres Gesichts gestreichelt, auf dem überall feine, weiche Härchen zu spüren gewesen waren. Sie hatte sich zu ihr heruntergebeugt und gesagt: «Omi, ich werde auch so jeden Tag an dich denken. Aber ich verspreche es dir: Wenn ich eine Tochter bekomme, nenne ich sie nach dir. Das mache ich sehr, sehr gern.»
    Lisa seufzte, als sie in diesem Moment wieder einmal durch einen Stich im Herzen spürte, wie sehr ihre Oma ihr doch fehlte. Gemeinsam mit ihr hätte sie ganz sicher am vertraulichsten über das bedrückende Ende ihrer Flitterwochen reden können. Und ganz sicher hätte Helene die richtigen Worte zum Trost gefunden und sie animiert, das Beste aus dieser Erfahrung zu machen.
    Allmählich löste sich Lisa aus ihren Gedanken und begann, den Frühstückstisch zu decken. Nach Eriks Rückkehr würden sie wie immer ausgiebig zusammen frühstücken. Doch statt des üblichen Bestecks, das Erik und sie neben vielen anderen Dingen bei Ikea zum Einzug in die erste gemeinsame Wohnung gekauft hatten, deckte sie den Tisch heute mit dem edlen Silberbesteck, das Helene ihr vererbt hatte.
    Noch immer sprangen in ihrem Kopf die Gedanken zwischen ihrer Oma und einem eigenen Kind hin und her.
    Wie es wohl sein würde, wenn sie eines Tages schwanger wäre, fragte Lisa sich, als sie einen Topf mit Wasser für die Fünfeinhalb-Minuten-Eier zum Kochen auf den Herd stellte. Wie würde sich ihr Körper verändern? Was müssten Erik und sie alles noch anschaffen? Wie würden sie das Kinderzimmer einrichten?
    Erst als der geschlossene Deckel des Topfs zu scheppern begann und das kochende Wasser zischend auf die heiße Herdplatte lief, erwachte Lisa aus ihren Träumereien.
    «Mist!», fluchte sie, als sie sich am Griff des Deckels verbrannte.
    Sie stach in jedes der beiden Frühstückseier ein kleines Loch und legte sie behutsam ins Wasser. Zur Sicherheit würde sie Eriks Stoppuhr einschalten, die wie einige andere Trainingsutensilien stets auf der langen Holzbank in der Küche rumflogen.
    Anschließend setzte sich Lisa und starrte auf die digitale Anzeige, die rasend schnell das Verstreichen der Sekunden und Zehntelsekunden dokumentierte.
    Es wird Zeit, dachte sie.
    Es wird Zeit, dass sie Erik in ihren größten Wunsch einweihte – auch wenn sie noch keine Idee hatte, wie sie dies am besten anstellen sollte.

[zur Inhaltsübersicht]
8.
    Den nächsten Montag verbrachte Lisa mit Katja allein im Laden, damit Jutta sich einen freien Tag gönnen konnte.
    Da es vorn im Verkauf, wie für einen Montag üblich, recht ruhig war, konnte Lisa sich zurückziehen und sich der Buchhaltung sowie der Bestellung neuer Stoffe widmen. Es war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, die neuen Musterkataloge der kommenden Saison durchzublättern. Nur allzu gern ließ sie sich davon inspirieren und stieß nun auf neue, wunderbar samtartige Nickistoffe in allen nur denkbaren Farben. Am meisten aber taten es Lisa die gestreiften Stoffe an. Die Farbkombinationen erinnerten sie an ihre Kindheit, und sie musste an ein Porträtfoto aus ihrer Grundschulzeit denken, auf dem sie mit Zahnlücke und Zöpfen in einem grün-orangefarbenen Nickipullover zu sehen war. Obwohl das drei Jahrzehnte zurücklag, wusste Lisa noch genau, dass sie zu diesem Pullover damals am liebsten ihre braune Latzhose aus Cord trug.
    Sie versuchte, sich nun auch noch daran zu erinnern, welche Schuhe sie in jener Zeit wohl getragen hat und welche Jacke, welche Handschuhe, Schals, Mützen oder Kleider. Und tatsächlich, je länger sie sich auf ihre ersten Schuljahre konzentrierte, desto deutlicher wurden die Bilder in ihrem Kopf. Die Erinnerung löste ein warmes, wohlvertrautes Gefühl in ihr aus. Lisa fiel ihre Schultasche aus dunkelrotem Leder wieder ein, ihre Federmappe mit den nach Farben sortierten Buntstiften und ihr erster Geha-Füller. Sie

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