Was ich dir schon immer sagen wollte
meiner Mutter gestorben, an seiner Nierenkrankheit, und ich schulde ihr dafür immer noch dreihundert Dollar Kostgeld. Sie hat mich gezwungen, ihm seinen Eierflip mit Magermilch zu machen. Alle Tage meines Lebens bin ich pleite. Es stimmt, man braucht nicht reich zu sein, Hauptsache, man ist gesund, aber was, wenn man beides nie war? Lungenentzündung, als ich drei Jahre alt war, und seitdem Bronchitis. Mit zwölf rheumatisches Fieber. Ich war sechzehn, als ich meinen ersten Mann geheiratet habe, er ist beim Holzfällen ums Leben gekommen. Drei Fehlgeburten. Mein Unterleib ist in Fetzen. Ich verbrauche jeden Monat drei Packungen Kotex. Ich habe einen Milchviehfarmer draußen im Valley geheiratet, und seine Herde kriegte das Fieber. Hat uns vernichtet. Das war der, der an den Nieren gestorben ist. Kein Wunder. Kein Wunder, dass meine Nerven kaputt sind.«
Dies ist eine gekürzte Zusammenfassung. Es wurde wesentlich ausführlicher erzählt und keineswegs weinerlich, sondern mit Staunen und einigem Stolz, an Dottys Tisch. Sie bat mich öfter auf eine Tasse Tee herunter, danach gab es Bier. Das ist Leben, dachte ich nach all meinen Büchern, Seminaren, Essays und Diskussionen. Anders als ihre Mutter hatte Dotty ein flächiges Gesicht, weich, blass, prädestiniert für Niederlagen, die Sorte farbloser, überforderter Frauen, die man mit Einkaufstaschen auf den Bus warten sieht. Ich hatte sie tatsächlich einmal in der Innenstadt im Bus gesehen und hatte sie in ihrem duffen blauen Wintermantel anfangs nicht erkannt. Ihre Zimmer standen voll schwerer Möbel, die sie aus ihrer Ehe gerettet hatte – ein Klavier, ein zu stramm gepolstertes Sofa mit Sesseln, eine Vitrine mit Walnussfurnier und ein Esszimmertisch, an dem wir saßen. Mitten auf dem Tisch stand eine riesige Lampe mit bemaltem Porzellanfuß und einem gefältelten dunkelroten Seidenschirm, der in einem extravaganten Winkel ausgestellt war, ähnlich wie ein Reifrock.
Ich beschrieb ihn Hugo. »Das ist eine Bordelllampe«, sagte ich. Später wollte ich dazu beglückwünscht werden, wie treffend diese Beschreibung war. Ich sagte Hugo, er müsse Dotty mehr Beachtung schenken, wenn er Schriftsteller werden wollte. Ich erzählte ihm von ihren Ehemännern und ihrem Unterleib und ihrer Sammlung von Souvenirlöffeln, und er sagte, ich dürfe sie mir gern allein anschauen. Er schriebe ein Versdrama.
Einmal, als ich hinunterging, um den Heizkesselofen mit Kohlen zu füttern, traf ich auf Dotty in ihrem Morgenrock aus rosa Chenille, sie verabschiedete sich gerade von einem Mann in der Uniform eines Auslieferers oder eines Tankwarts. Es war früh am Nachmittag. Sie und dieser Mann trennten sich nicht in irgendeiner Weise, die auf Wollust oder Zuneigung deutete, und ich hätte überhaupt nichts mitbekommen, hätte ihn wahrscheinlich für einen Verwandten gehalten, wenn sie mir nicht sofort eine lange, komplizierte, etwas schräge Geschichte aufgetischt hätte, dass sie im Regen nass geworden war und ihre Sachen im Haus ihrer Mutter lassen musste und für den Heimweg ein Kleid ihrer Mutter angezogen hatte, das ihr zu eng war, und deshalb lief sie jetzt im Morgenrock herum. Sie sagte, erst hatte Larry sie darin erwischt, als er ihr etwas vorbeibrachte, was sie für seine Frau nähen sollte, und jetzt ich, und sie wisse nicht, was wir jetzt von ihr dächten. Das war merkwürdig, da ich sie schon viele Male im Morgenrock gesehen hatte. Inmitten ihrer von Gelächter begleiteten Erklärung verschwand der Mann, der mich weder angesehen noch gelächelt, noch ein Wort gesagt, noch in irgendeiner Weise ihre Geschichte bestätigt hatte, einfach zur Tür hinaus.
»Dotty hat einen Geliebten«, erzählte ich Hugo.
»Du kommst nicht genug unter Menschen. Du versuchst, das Leben interessant zu machen.«
In der Woche darauf hielt ich Ausschau, ob dieser Mann wiederkam. Er kam nicht wieder. Aber drei andere Männer kamen, und einer davon zwei Mal. Sie gingen mit gesenkten Köpfen, rasch, und brauchten an der Kellertür nicht zu warten. Hugo konnte es nicht bestreiten. Er sagte, wieder mal ein Fall, wo das Leben die Kunst nachahmte, gar nicht anders möglich, nach all den fettleibigen, krampfadrigen Huren, die ihm in der Literatur begegnet waren. Von da an nannten wir sie die Dirne des Hauses und fingen an, vor unseren Freunden mit ihr zu prahlen. Sie standen hinter den Gardinen, um sie beim Hinein- oder Hinausgehen zu erspähen.
»Das ist sie doch nicht etwa!«, sagten sie. »Ist sie das?
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