Was ich dir schon immer sagen wollte
kannte«, sagte ich. »Woher sollte ich wissen, wie er mal wird?«
Er sah jedoch ziemlich genauso aus, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Wenn ich seinen Namen in der Zeitung oder auf einem Plakat sah, hatte ich ihn mir in etwa so ausgemalt; hatte vorausgesehen, wie die Zeit und das Leben ihn verändern würden. Es überraschte mich nicht, dass er dick geworden war, jedoch nicht kahl, dass er sich die Haare wild hatte wachsen lassen und sich einen krausen Vollbart zugelegt hatte. Säcke unter den Augen, Hängebacken sogar, wenn er lacht. Er lacht in die Kamera. Seine Zähne sind noch schlechter als früher. Er hasste Zahnärzte, sagte, sein Vater sei auf einem Zahnarztstuhl an einem Herzanfall gestorben. Eine Lüge, wie so vieles andere, oder zumindest eine Übertreibung. Für Fotos lächelte er immer schief, um seinen rechten oberen Schneidezahn zu verbergen, der tot war, seit jemand ihn in der Schulzeit in einen Trinkbrunnen gestoßen hatte. Jetzt ist es ihm egal, er lacht, er entblößt diese verfaulenden Stümpfe. Er sieht leiderfüllt und gleichzeitig fröhlich aus. Ein Schriftsteller im Stile von Rabelais. Kariertes Wollhemd mit offenem Kragen, um sein Unterhemd zu zeigen, früher trug er keins. Wäschst du dich, Hugo? Riechst du aus dem Mund, bei diesen Zähnen? Redest du deine Studentinnen genervt mit liebevollen, obszönen Spitznamen an, gibt es Anrufe von empörten Eltern, muss der Dekan oder jemand ihnen erklären, dass das nicht böse gemeint ist, dass Schriftsteller nicht wie andere Männer sind? Wahrscheinlich nicht, wahrscheinlich regt sich niemand auf. Unverschämte Schriftsteller können heutzutage von einer Jubelfeier zur nächsten hüpfen, verwirrt, wie zu liberal erzogene Kinder es angeblich sind, von einem Übermaß an Anerkennung.
Ich habe keine Beweise. Ich konstruiere jemanden aufgrund dieses einen unscharfen Fotos, ich gebe mich mit solchen Klischees zufrieden. Es fehlt mir an Phantasie oder an Wohlwollen, um anders vorzugehen; und mir ist ohnehin aufgefallen, wie es jedem aufgefallen sein muss, der wie ich in die Jahre kommt, wie abgenutzt und einfach die Masken, die Identitäten, wenn man will, eigentlich sind, die Menschen sich zulegen. In der Literatur, in Hugos Gewerbe würden solche Masken nicht genügen, aber im Leben scheinen sie alles zu sein, was wir wollen, alles, was wir zustande bringen. Man sehe sich Hugos Foto an, das Unterhemd, man lese, was da über ihn steht.
Hugo Johnson wurde in den Wäldern von Nord-Ontario geboren und ging hin und wieder in den dortigen Bergwerks- und Holzindustriestädten zur Schule. Er arbeitete als Holzfäller, Bierzapfer, Kellner, Fernmeldetechniker und als Vorarbeiter in einem Sägewerk und stand sporadisch mit verschiedenen akademischen Einrichtungen in Verbindung. Er lebt jetzt meistens am Hang eines Berges oberhalb von Vancouver, mit seiner Frau und sechs Kindern.
Die studentische Ehefrau scheint also sämtliche Kinder am Hals zu haben. Was ist aus Mary Frances geworden, ist sie gestorben, hat sie sich emanzipiert, hat er sie in den Wahnsinn getrieben? Aber man höre sich diese Lügen an, diese Halblügen, diesen Unsinn. Er lebt am Hang eines Berges oberhalb von Vancouver . Das klingt, als hauste er in einer Blockhütte in der Wildnis, dabei bedeutet es nichts weiter, darauf möchte ich wetten, als dass er in einem normalen, behaglichen Haus in Nord- oder West-Vancouver wohnt, Stadtteile, die sich inzwischen weit bergauf erstrecken. Er stand sporadisch mit verschiedenen akademischen Einrichtungen in Verbindung . Was hat das zu bedeuten? Wenn es bedeutet, dass er jahrelang, den größten Teil seines erwachsenen Lebens über, an Universitäten unterrichtet hat, dass seine Lehrtätigkeit die einzige feste, gut bezahlte Anstellung war, die er je hatte, warum steht das dann nicht da? Man könnte meinen, er ist hin und wieder aus dem Wald herausgekommen, um alle mit Brocken aus Weisheit zu bewerfen, um allen zu zeigen, was ein richtiger Schriftsteller ist, ein Künstler ; man würde nie auf die Idee kommen, dass er ständig Dozent war. Ich weiß nicht, ob er je Holzfäller oder Bierzapfer oder Kellner war, aber ich weiß, dass er nie Fernmeldetechniker war. Er sollte mal Telefonmasten anstreichen. Das hat er mitten in der zweiten Woche hingeschmissen, weil ihm von der Hitze und dem Klettern schlecht wurde. Es war ein glutheißer Juni, gleich nachdem wir beide das College abgeschlossen hatten. Verständlich. Von der Sonne wurde ihm
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