Was ich dir schon immer sagen wollte
seitdem von einer Kirche, einem Geschäft, jemandes Haus.
»Er war zu gut für sie.«
Sie hatte niemanden als Robina, zu dem sie diese Dinge sagen konnte. Doch Robina war dafür in gewisser Hinsicht die Richtige. Sie war jemand mit einer eigenen Liste von Leuten, mit denen man nicht redete, von Läden, die man nicht betrat.
»Hier sind doch alle blöde. Die gehören mit dem Besen rausgefegt.«
Worauf sie jedes Mal von einer Ungerechtigkeit berichtete, die ihren Brüdern Jimmy und Duval widerfahren war, des Diebstahls angeklagt, wo sie doch nur ausprobieren wollten, wie eine Taschenlampe funktioniert.
Wenn ich die Gebäude der Stadt hinter mir gelassen hatte, musste ich noch eine Meile weit auf einer geraden Landstraße laufen. Unser Haus stand an deren Ende, ein großes Backsteinhaus mit Erkerfenstern oben und unten. Sie sahen für mich immer unangenehm aus, wie hervorquellende Insektenaugen. Ich war froh, als sie dieses Haus Jahre später abrissen; unser Land machten sie zum Städtischen Flughafen. An der Straße standen nur noch zwei oder drei andere Häuser. Eines davon war das von Stump Troy.
Stump Troy war ein Schwarzbrenner, der bei einem Unfall in Ryan’s Sägewerk beide Beine verloren hatte. Es hieß, dass die Familie Ryan seine Schwarzbrennerei unterstützte und ihm die Polizei vom Hals hielt, damit er keinen Prozess gegen sie anstrengte. Jedenfalls florierte seine Schwarzbrennerei, ohne dass ihm je irgendjemand Schwierigkeiten bereitete. Er hatte einen Sohn namens Howard, der hin und wieder in die Schule kam – aus welchem Ansporn, ließ sich nicht sagen –, in irgendeine Klasse gesteckt wurde, in der gerade Platz für ihn war, und hinten hingesetzt wurde, mit, wenn irgend möglich, leeren Bänken um ihn herum, damit keine Mutter sich beschweren konnte. Kein Beauftragter gegen Schulschwänzerei, falls es damals so jemanden gab, kann sich je um diesen Fall gekümmert haben. In jener Zeit ging man davon aus, dass Menschen eben so waren, wie sie waren, und nicht gebessert oder geändert werden sollten. Lehrer machten Witze über Howard Troy in seiner Abwesenheit und auch in seiner Gegenwart, und niemand kam je auf den Gedanken, das sei nicht normal oder gar grausam. Ansonsten ließen sie ihn in Ruhe.
Bei einem seiner Schulbesuche war er in meiner Klasse, saß schräg hinter mir, und ich tat ihm einen Gefallen, dabei wusste ich nicht erst hinterher, sondern gleich, dass das ein Fehler war. Wir mussten etwas von der Tafel abschreiben. Howard Troy schrieb nichts ab. Er saß ohne Stift oder Papier da und tat nichts. Er kam ohne Utensilien in die Schule. Bleistifte, Papier, Radiergummis und Buntstifte mitbringen, das hätte ebenso wenig zu ihm gepasst, als wäre ihm plötzlich ein Federkleid gewachsen. Er sah stur geradeaus, vielleicht zur Tafel, um zu lesen oder zu verstehen, was dort geschrieben stand, vielleicht auch ins Leere. Was dachte er? Das brachte mich ins Grübeln. Ich mochte die Vorstellung nicht, dass er immer noch da war, darunter, und hinaussah, durch all die Dinge, die Dummheit und Gemeinheit, die ihm zur Last gelegt und von ihm hingenommen worden waren, und an die so fest geglaubt wurde, dass es inzwischen völlig gleichgültig war, ob sie ihm zu Recht vorgeworfen wurden oder nicht. Ich dachte nicht, dass er wie ich war, so weit ging ich nicht, ich hatte nur Angst vor ihm, und es war ein Angstgefühl, das mir bisher noch nicht in den Sinn gekommen war.
Seine Augen hatten die Farbe von Katzenaugen. Sie waren rund, klar und eng zusammenstehend.
Ich schlug meine Kladde in der Mitte auf, so dass ich eine Doppelseite herauszupfen konnte, ohne etwas zu zerreißen, und reichte sie ihm zusammen mit einem angespitzten Bleistift. Er streckte nicht die Hand aus, um sie zu nehmen. Ich legte beides auf seine Bank. Er sagte weder danke, noch zeigte er irgendeine Regung, aber ich sah später, dass er zumindest den Bleistift auf dem Papier einsetzte – ob um von der Tafel abzuschreiben oder Bilder zu malen oder einfach Drahtrollen aus Os zu kritzeln, weiß ich nicht.
Das war der Fehler, das machte ihn auf mich aufmerksam, ebenso wie der Zufall – in meinen Augen kein Zufall! –, dass wir in derselben Straße wohnten. Mir musste eine Lektion erteilt werden. Mag er gedacht haben. Wegen Anmaßung. Wegen Herablassung. Oder er mag den Schimmer einer ungewöhnlichen, interessanten, überraschenden Schwäche gesehen haben.
Die Schneeberge waren hoch, die Straße verlief dazwischen wie ein Tunnel.
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