Was ich dir schon immer sagen wollte
Wahl des Zeitpunkts, Kränkungen über Kränkungen, niemand kann je auf den Grund gelangen.
Aber wir gingen schnurstracks aufeinander zu; wir griffen nach Halt und hielten uns fest. Wir zerdrückten die vom Boden aufgesammelten, wenig gewürdigten Blumen, wir klammerten wie Menschen, die auftauchen, wundersam gerettet. Und nicht zum letzten Mal. Das konnte wieder passieren; es konnte wieder und wieder passieren. Und es wäre immer derselbe Fehler.
Auuh.
Ein Schrei füllt die Bahnhofshalle, ein wirklicher Schrei, der von jemand anders als von mir kommt. Ich sehe, dass andere Leute stehen geblieben sind, ihn auch gehört haben. Der Schrei gleicht dem eines Angreifers, ist voll schrecklichem Groll. Viele schauen zu den offenen Türen, zur Hastings Street, als käme von dort Fürchterliches auf sie eingestürzt. Aber jetzt ist zu sehen, dass der Schrei von einem alten Mann kommt, von einem alten Mann, der zusammen mit anderen alten Männern auf einer Bank am Ende der Halle gesessen hat. Früher standen da mehrere Bänke; jetzt steht nur noch eine da, auf der alte Männer sitzen, die ebenso wenig wahrgenommen werden wie alte Zeitungen. Der alte Mann ist aufgestanden, um seinen Schrei auszustoßen, der eher ein Wutschrei ist, mit dem Willen, Schrecken zu verbreiten, als ein Schmerzensschrei. Während der Schrei verhallt, dreht er sich halb um, taumelt, versucht, sich mit hochgestreckten Armen und gespreizten Fingern an der Luft festzuhalten, und liegt zuckend auf dem Boden. Die anderen alten, auf der Bank sitzenden Männer beugen sich nicht vor, um ihm zu helfen. Keiner von ihnen ist aufgestanden, sie würdigen ihn kaum eines Blickes, sondern lesen weiter Zeitung oder starren auf ihre Füße. Das Zucken hört auf.
Er ist tot, ich weiß es. Ein Mann in einem dunklen Anzug, wohl jemand von der Bahn, kommt heraus, um ihn zu untersuchen. Einige Leute gehen mit ihrem Gepäck weiter, als wäre nichts geschehen. Sie schauen nicht hin. Andere wie ich nähern sich der Stelle, wo der alte Mann liegt, und bleiben dann stehen; nähern sich und bleiben stehen, als gehe von ihm eine gefährliche Strahlung aus.
»Muss sein Herz gewesen sein.«
»Schlaganfall.«
»Ist er tot?«
»Klar. Der Mann legt ja seine Jacke über ihn.«
Der Bahnbeamte steht jetzt in Hemdsärmeln da. Sein Jackett wird in die Reinigung müssen. Ich wende mich mühsam ab, begebe mich zum Ausgang. Es scheint, als sollte ich nicht fortgehen, als forderte der Schrei des sterbenden, jetzt toten Mannes immer noch etwas von mir, aber ich komme nicht darauf, was es ist. Durch diesen Schrei werden Hugh und Margaret und der Rosenkreuzer und ich, alle Lebenden, zurückgedrängt. Was wir sagen und fühlen, klingt nicht mehr wahr, ist nicht mehr so wichtig. Als wären wir alle vor langer Zeit aufgezogen worden und wirbelten außer Kontrolle geraten herum, surrten, gäben Geräusche von uns, könnten aber auf einen Knopfdruck hin aufhören und einander zum ersten Mal sehen, friedlich und still. Das ist eine Botschaft; das glaube ich wirklich; aber mir ist nicht klar, wie ich sie überbringen kann.
Winterwind
Aus dem Schlafzimmerfenster meiner Großmutter konnte man über die Eisenbahngleise hinweg auf die weite Niederung des Wawanash-Flusses blicken, der sich zwischen Schilf hin und her wand. Nun alles zugefroren, alles Eis und glatte Schneedecke. Sogar an stürmischen Tagen konnte der Himmel vor dem Abendbrot aufbrechen, und dann gab es einen feurigen Sonnenuntergang. Wie in Sibirien, sagte meine Großmutter, beleidigt, konnte man meinen, weil wir am Rande der Wildnis hausten. Es war natürlich alles Farmland und harmloser Wald, überhaupt keine Wildnis, aber der Winter begrub die Zaunpfähle.
Der Schneesturm fing vor der Mittagsstunde an, als wir im Chemieunterricht saßen, und wir beobachteten seinen Fortgang voller Vorfreude auf eine Unterbrechung, auf blockierte Straßen, knappe Vorräte und Schlafstellen in den Schulfluren. Ich stellte mir vor, befreit zu sein durch diese Atmosphäre der Bedrohung, unterstützt von dem Stromausfall und dem Kerzenlicht und den munteren Liedern gegen das Tosen des Windes, unter einer Decke mit Mr. Harmer, einem Referendar, dessen Blicke ich in der täglichen Morgenandacht auf mich zu lenken versuchte, getröstet von seiner Umarmung, die anfangs nur warm und kameradschaftlich war, aber in der Dunkelheit und all dem Durcheinander – die Kerze war inzwischen gelöscht worden – zu etwas Hitzigerem und Persönlicherem werden
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