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Was im Dunkeln liegt

Was im Dunkeln liegt

Titel: Was im Dunkeln liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Janes
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unheilvoll im Kerzenlicht glitzerte.
    »Ich kann sie sehen«, hauchte Trudie mit weicher Stimme.
    Ich hob den Blick, um zu sehen, wo Trudie hinblickte  –  erwartete für den Bruchteil einer Sekunde, eine Erscheinung der ermordeten Agnes im Zimmer anzutreffen, doch Trudies Augen waren geschlossen. Was immer sie sehen mochte, es spielte sich in ihrem Kopf ab.
    Danny drückte meine Hand, ob als Beruhigung oder als Zeichen seiner Belustigung, habe ich nie erfahren. Ich sah ihn nicht an.
    Trudie begann mit einer leisen, träumerischen Stimme zu sprechen. Trotz unserer räumlichen Nähe konnte ich sie kaum verstehen. »Sie geht in den Wald. Sie hat keine Angst  –  nein, sie lacht und ist fröhlich … Es wird dunkel zwischen den Bäumen, ich kann sie nicht mehr gut sehen  –  warte, Agnes  –  geh nicht so schnell … Da ist ein Mann  –  ein Mann mit dunklem Haar und einem Bart …«
    Was du nicht sagst, dachte ich. Das ist genau das, was in den Zeitungen gestanden ist.
    »Er ist ihr Freund, deshalb hat Agnes keine Angst. Warte …« Ich spürte, wie sich parallel zu der ansteigenden Spannung in Trudies Stimme meine Nackenhaare aufstellten. »Er ist nicht bei ihr  –  sie ist allein  –  sieht sich um  –  verloren in der Dunkelheit  –  überall nur Dunkelheit.« Trudies Stimme schwoll an. Ich beruhigte mich mit
dem Gedanken, dass sie eine verdammt gute Schauspielerin war.
    »Nein!« Sie schrie das Wort förmlich hinaus. »Agnes  – er taucht hinter ihr auf  –  Agnes  –  ich sehe sie jetzt  –  ganz deutlich. Sie hat langes, dunkles Haar  –  sie sieht aus wie ich …« Trudie brach in lautes Schluchzen aus. »Das bin ich  –  sie hat mein Gesicht.«
    Als ich mich aus dem Kreis löste, merkte ich, dass ich mich mit den Nägeln in Simons Hand gekrallt hatte. Ich kroch hinter Danny, um zu Trudie zu gelangen, nahm sie in die Arme und wiegte sie wie ein Kind, während die Kerzen, die durch die jähe Bewegung ins Flackern geraten waren, unsere Schatten wild zuckend an die Wände und die Decke warfen. »Es ist gut«, sagte ich. »Alles ist gut.«
    »Du hättest den Kreis nicht durchbrechen dürfen«, wisperte sie unter Tränen.
    Simon stand auf und knipste das Licht an. Danny nahm sein Kruzifix wieder an sich und blies die Kerzen aus. Während Trudie sich langsam aufrichtete, vibrierte das erste Donnergrollen durch das Haus. Simon nahm mir die Rolle des Trösters ab. Ich hörte, wie er ihr anbot, bei ihr im Zimmer zu übernachten, was sie mit einem gemurmelten »Danke« annahm.
    Das Gewitter, das sich so langsam genähert hatte, gewann binnen weniger Sekunden an Stärke; der Donner hallte vom Dach wider, jagte uns auf den Treppenabsatz hinaus. Während Simon Trudie zu ihrem Zimmer begleitete, den Arm beschützend um ihre Schultern gelegt, flohen Danny und ich förmlich in unser eigenes kleines Refugium, schlossen die Tür hinter uns ab, als wollten wir uns gegen unsichtbare Mächte verbarrikadieren, und
lachten dann nervös, während wir uns in einem unausgesprochenen Wettkampf um das Privileg, als Erster im Bett zu sein, die Kleider vom Leib rissen. In der Zwischenzeit wütete das Gewitter mit voller Kraft  –  wie in einem schlechten Gruselfilm mit lautem Donnerkrachen und zuckenden Blitzen, die das Zimmer in regelmäßigen Abständen erhellten.
    Unser Doppelbett war eine Insel der Normalität, ein sicherer Hafen, der uns vor Trudie und ihrem ganzen Unsinn schützte. Sobald wir nackt unter der Decke lagen, schmiegte ich mich dicht an Danny an, fühlte den kühlen Umriss seines Kruzifixes an meiner Wange. Er drückte mir ein paar Küsse auf den Scheitel, ehe er fragte: »Meinst du, sie hat wirklich etwas gesehen?«
    »Na ja, sie scheint es jedenfalls zu glauben. Aber sie war schon davor ziemlich überdreht. Die ganze Sache ist sicher nur ein Produkt ihrer Fantasie.«
    »Ziemlich sicher sogar«, stimmte Danny zu. Er klang erleichtert. Ich hätte ihn nie für abergläubisch gehalten. Vielleicht war es seine katholische Erziehung  –  die ständige Gegenwart dieser längst verstorbenen Heiligen, die im Äther herumschwebten und auf die Fürbitten der Gläubigen warteten.
    »Wenn sie noch einmal so etwas vorschlägt, sollten wir sie lieber davon abbringen«, sagte ich.
    »Ja«, stimmte Danny mir sofort zu. »Das macht sie nur fertig.«
    Ich lag in seinen Armen, durchlebte im Geist noch einmal Trudies Zusammenbruch. Sie hatte sich zu sehr mit der

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