Was im Dunkeln liegt
Dienstzeit erschienen auf seiner Beerdigung. Man musste die Messe über Lautsprecher nach draußen übertragen und konnte den Sarg vor Blumen nicht mehr sehen.
Hilly hat ein paar Reiseprospekte mitgebracht, die wir uns ansehen, während wir unseren Kaffee trinken. Wir planen eine Reise auf die griechischen Inseln – Sonne und Archäologie –, ein Urlaubsflirt steht definitiv nicht auf der Agenda. Die Prospekte sind in Hillys Tasche ins Restaurant befördert worden; die neueste aus einer langen Reihe geräumiger Handtaschen, die sie immer mit sich herumschleppt. Das ist ein weiterer Insiderwitz in ihrer Familie: Hillys Handtaschen. Wann immer jemand irgendeinen Gegenstand braucht, wie groß oder obskur er auch sein mag, sagen die Mädchen: »Mum hat wahrscheinlich einen in ihrer Tasche.«
Ich kenne all die Insiderwitze – die mit der Mussheirat und den riesigen Handtaschen –, weil ich beinahe ein Mitglied der Familie bin, wie eine Art Ehrenverwandte oder ein altes Familienfaktotum. Hillys und Trevors Mädchen ahnen nicht, wie sehr ich einst hoffte, so viel mehr zu sein.
Nachdem ich Hilly abgesetzt habe, fahre ich nicht direkt nach Hause. Stattdessen schlage ich die entgegengesetzte Richtung ein. Die Strecke ist mir so vertraut, dass ich sie blind bewältigen könnte. Ich gehe vom Gas, um in die Menlove Avenue einzubiegen, schleiche dann im Schritttempo die letzten hundert Meter die breite, von Bäumen gesäumte Straße hinunter, ehe ich schließlich zwischen zwei Straßenlaternen parke. Ich schalte die Scheinwerfer aus, stelle den Motor ab und sitze in der stillen Dunkelheit, starre zu den erleuchteten Fenstern eines wenige Türen entfernten Hauses. Viele Häuser sind
bereits dunkel, doch die Bewohner dieses Hauses löschen selten vor halb zwölf die Lichter.
Mit ausgeschaltetem Motor kann ich die schwache Brise hören, die über mir durch die Bäume raschelt. Wenn ein Wagen in die Straße einbiegt, erstarre ich und mache mich mit der Hand am Zündschlüssel bereit, sofort loszufahren, doch die anderen Fahrzeuge gleiten vorbei, ohne Notiz von mir zu nehmen, und verschwinden hinter der Kurve. Dennoch bleibe ich wachsam, bin mir der Risiken, die ich hier eingehe, seit dem Gespräch mit Marjorie vor einigen Tagen mehr denn je bewusst. Gleichwohl verstehe ich nicht, warum ich sie nicht gesehen habe. Sie muss weiter unten an der Straße geparkt haben und in eines der Häuser hinter mir gegangen sein; woraus ich folgere, dass ihre Freundin am Ende der Straße, an der Kreuzung Harding Lane wohnen muss. Als Vorsichtsmaßnahme habe ich heute Abend mein Auto in der entgegengesetzten Richtung geparkt – um sicherzugehen, dass sie mich nicht heimlich beobachten kann. Eigentlich hätte ich überhaupt nicht hierherkommen dürfen. Ich kann es mir nicht erlauben, ein zweites Mal von ihr erwischt zu werden.
Einige Minuten verbringe ich damit, die Häuser der Reihe nach zu mustern und mich zu fragen, in welchem davon diese verfluchte Gwenda wohnen mag: Ich hoffe nur, ich habe eine Stelle ausgewählt, die durch die Baumreihe am Rande des Gehwegs vor ihrem Spionieren hinter Netzgardinen sicher ist.
Einige Häuser in der Menlove Avenue haben mittlerweile Kunststofffensterrahmen oder trendige Jalousien, aber das Haus, dem meine Aufmerksamkeit gilt, hat sich seit zwanzig Jahren kaum verändert. Der Vorgarten folgt
nach wie vor seinem jährlichen Zyklus aus Narzissen, Rosen und fallendem Laub. Früher stand hier auch eine steinerne Sonnenuhr, doch die ist schon lange verschwunden, vielleicht Vandalismus zum Opfer gefallen oder gestohlen – so etwas passiert heutzutage sogar in besseren Gegenden wie dieser, auch wenn Marjorie das vielleicht nicht wahrhaben will. Seit etwa drei Jahren sind orangebraune Vorhänge an den Fenstern. Vorher waren es blaue mit silbernen Streifen.
Von meinem Standort aus kann ich erkennen, wie die Dielenbeleuchtung angeht; danach ist der erste Stock erhellt, fast bis hoch zum zweiten, während das Erdgeschoss wieder dunkel wird. Aus diesem Winkel kann ich nicht ins Schlafzimmer hineinsehen, aber ich erhasche einen Blick auf die Hand, die den Vorhang zuzieht. Eine Frauenhand? Vielleicht auch die Hand eines Mannes – unmöglich, es aus der Entfernung festzustellen. Manchmal bilde ich mir ein, ich könne mehr sehen, als es tatsächlich der Fall ist.
Die Schlafzimmervorhänge sind hellbraun mit einem Blumenmuster. Sie müssen gefüttert sein, denn sobald sie zugezogen sind,
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