Was im Leben zählt
worden bin, in eine Zeitschleife, die sich noch nicht entfaltet hat.
Umzug?, denke ich. Verdammte Scheiße! Wir ziehen um! Warum um alles in der Welt ziehen wir um, und wohin um alles in der Welt? Ich spüre das Blut in meinen Adern pochen und frage mich, wie Tyler es geschafft hat, mich zu überreden; was er mir versprochen hat, um mir ein so ungeheures Zugeständnis zu entlocken. Vielleicht weil ich schwanger bin, überlege ich. Vielleicht bin ich schwanger, und wir brauchen ein größeres Haus. Ich wage einen Blick auf meinen Bauch, um zu sehen, ob er sich vielleicht wölbt, aber ich bin immer noch mein altes Ich aus dem alten Hier und Jetzt, nicht mein zukünftiges Ich. Hier lassen sich keine Hinweise finden. Außerdem fällt mir sofort wieder ein, dass unser Haus für drei Menschen die ideale Größe hat. Und selbst wenn es nicht so wäre – wir könnten uns trotzdem nicht einfach was Größeres leisten.
Ich starre auf die Haustür und hoffe, dass ich mich endlich selbst heraustappen sehe, mit einer heißen Tasse Tee vielleicht oder einem Teller Cookies, um die beiden für die harte Arbeit zu belohnen, hoffe auf irgendein Zeichen dafür, dass ich mich darauf freue, diesen Ort zu verlassen – dieses Haus? Diese Stadt? –, dass ich es Tyler nicht übelnehme, mein perfekt geplantes Leben einfach in eine neue Richtung zu lenken. Doch auf der Veranda bleibt alles still. Bis auf den Regen, der beständig vom Dach auf das Holzgeländer tropft.
Trotz des Regens lassen Tyler und Austin sich auf die Ladefläche sinken und geben tiefe, erschöpfte Seufzer von sich. Tyler ist nur einen knappen Meter von mir entfernt. Ich will nach ihm rufen, mich bemerkbar machen, ich will Antworten von ihm. Was soll’s!, denke ich und wage einen Versuch. «Ty-ler!» Aber natürlich dreht er sich nicht nach mir um. Er kann mich nicht hören. Er kann mich nicht sehen. Dreimal rufe ich seinen Namen, dann gebe ich mich geschlagen. Und als ich es doch noch ein allerletztes Mal versuche, das ganze Gewicht in meinen Schrei lege, ihm seinen Namen förmlich um die Ohren haue, zuckt er zusammen. Ja, ich sehe genau, wie er zusammenzuckt. Vielleicht kann ich mich ja doch bemerkbar machen. Doch dann stehen sie auf und gehen ins Haus, und ich bin wieder allein. Allein mit dem offenen Umzugsanhänger und dem Regen, der rund um mich herum zu Boden prasselt.
Plötzlich fliegt die Tür auf, und Darcy kommt ins Freie gerannt. Sie trägt eine alte Jogginghose und Flip-Flops. Sie muss eisig kalte Füße haben, und obwohl man bei diesem Wetter eindeutig eine Jacke braucht, hat sie nur ein Sweatshirt an. Sie schlägt die Kapuze über die inzwischen dunkelviolett gefärbten Haare und wischt sich die verlaufene Wimperntusche aus dem Gesicht, was ihren Anblick nicht besser macht. Vorne auf dem Sweatshirt prangt ein feuchter Fleck, der mich an einen Rorschach-Test erinnert. Sie rennt an mir vorbei, so dicht, dass sie mich um ein Haar streift, und der unverwechselbare Geruch von Wodka steigt mir in die Nase. Ich versuche, nach ihr zu greifen, sie am Arm zu packen und festzuhalten, aber das ist natürlich völlig sinnlos, und schnell ist sie über die Auffahrt auf die Straße gerannt und verschwunden.
Ich drehe mich wieder um und starre auf den Inhalt des Anhängers, auf mein Leben , so ordentlich, so leicht und mobil, und während der Regen weiter aus einer bleischweren Wolke niederprasselt, frage ich mich, ob es möglich ist, dass ich einfach ertrinke.
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Sieben
T illy, Tilly! Wach auf!» Jemand reibt mir Pfeffer unter die Nase, und brennender Schmerz jagt meine Nasenlöcher hoch.
«Au! Nein! Nicht!» Ich wedle mir mit der Hand vor dem Gesicht herum und setze mich mühsam auf. In meinem Hinterkopf pocht es. Ich streiche mir über den Schädel und ertaste eine riesige Beule. Meine Augenlider sind bleischwer, aber ich zwinge sie trotzdem auf. Susanna und Darcy kauern neben mir.
«Was macht ihr hier?» Meine Stimme ist rau wie Sandpapier.
«Wir müssen dich ins Krankenhaus bringen», sagt Susie.
Ich sehe mich verwirrt um. Was ist hier los? Was zur Hölle ist hier los? Langsam kommt mein Gedächtnis wieder in Gang. Warum packt Tylor unseren Hausrat zusammen? Ich muss schlucken. Mein Mittagessen, ein Burger aus dem Drive-in, taucht wieder in meiner Kehle auf. Oh nein. Das heißt nichts Gutes. Die Erinnerung an das erste Mal durchfährt mich: die Vision von meinem Vater, in der ich irgendwie die Zukunft gesehen hatte. Nein, nein. Das hat
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