Was im Leben zählt
Lichtschwert schwenkend, schreit er uns an: «Zurück, ihr Feinde, aus dem Weg, oder ihr seid tot!»
Wir kreischen beide erschrocken auf, und Susanna kommt in den Flur gelaufen, die Hände voller Mehl, die Schürze mit etwas bekleckert, das nach rohem Teig aussieht, und ich glaube – oder hoffe –, dass Luanne schon wieder vergessen hat, was ich gerade gesagt habe.
«Was macht ihr denn schon hier?», fragt Susanna, und zu den Jungen: «Raus mit euch.»
«Sie sind nackt!», sage ich.
«Merkst du nicht, wie heiß es ist?», antwortet sie. «Außerdem gibt es so weniger Dreckwäsche.»
Luanne nickt verständnisvoll, also nicke ich auch, als wäre es eine nachvollziehbar sinnvolle Maßnahme, kleine Jungs an einem heißen Tag nackt in den Garten zum Spielen zu schicken, doch da ich weder ein Kind noch den Schimmer einer Ahnung habe, an welchem Punkt kindliche Nacktheit unanständig wird, halte ich den Mund und folge Susie in die Küche.
«Was ist los?», fragt sie mit dem Rücken zu uns. Luanne zieht sich mit schrillem Kratzgeräusch einen Küchenstuhl heraus und kippt sich eine unanständig große Portion Ahornsirup in den Styroporbehälter mit ihren lauwarmen Pfannkuchen.
Ehe ich mich zurückhalten kann, zische ich wütend: «Hast du eine Affäre?»
«Was? Wovon redest du?» Susie fährt herum, einen Teigschaber in der Hand. Winzige Teigflöckchen verteilen sich auf Schränke und Wände. Luanne starrt uns mit offenem Mund an.
«Ich muss es wissen … hast du eine Affäre?»
«Spinnst du? Haben sie dir ins Hirn g-e-s-c-h-i-s-s-e-n?» Sie buchstabiert das unanständige Wort wie eine Mutter für ihr Kind und wendet sich wieder dem Mixer zu. «Sehe ich vielleicht aus, als hätte ich genug Zeit oder Energie für eine Affäre?»
Ich werfe Luanne einen Blick zu. Sie legt zustimmend die Stirn in Falten, wie um Da ist was dran zu sagen, und schiebt sich die nächste Gabel in den Mund. «Ich bin am Verhungern. Die Hormone. Tut mir leid.»
In rufe die Vision noch einmal wach, lasse ablaufen, was ich gesehen habe. Ich bin sicher, dass es wahr ist – beziehungsweise im Oktober wahr sein wird.
«Also, was ist?», frage ich leise. «Lässt du dich scheiden?»
Susie hört auf, den Teig zu rühren. Sie lässt die Schultern sinken und atmet hörbar aus.
«Ja», sagt sie, legt den Teigschaber beiseite, tritt an den Tisch und lässt sich neben Luanne auf einen Stuhl sinken. Aus ihrer Schürze steigen Mehlwölkchen auf.
«Du kannst dich von Austin nicht scheiden lassen», sage ich.
«Natürlich kann ich mich scheiden lassen», erwidert sie. «Und außerdem: Lässt er mir denn eine andere Wahl?»
«Das passiert doch ständig irgendwo. Es kommt wieder ins Lot», sage ich weinend, als wäre es meine Ehe, und irgendwie fühlt es sich auch so an.
«Hör zu, Tilly, ich will nicht. Ich will keine Ehe, in der solche Dinge wieder ins Lot gekommen sind. Er hat mich betrogen. Das schaffe ich nicht.»
Ich lasse mich auf den nächsten Stuhl sinken. «Nein. Du hast recht», seufze ich. «Aber du hättest mir was sagen können.»
«Ich habe es eben erst entschieden. Heute Morgen.» Sie sieht mich verwirrt an. «Woher hast du das gewusst?»
«Ich bin deine beste Freundin», schluchze ich. Nach der Nummer mit Luanne bin ich vorsichtiger. «Ich glaube, ich habe einfach ein Gespür für diese Dinge.»
«Ganz schön schräg.» Sie zuckt die Achseln.
«Ich weiß.» Ich wünschte, ich könnte ihr mehr erzählen, mich offenbaren, ihr alles sagen. Aber ich kann nicht. Nicht ehe ich weiß, wohin das alles führt, was die Zukunft für mich bereithält und, noch wichtiger, wie um alles in der Welt ich die Bremse finde, um die ganze Kiste zu stoppen.
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Zwölf
N olan Green hat ihn kaum sicher zu Hause abgeliefert, da verschwindet Tyler auch schon im Ankleidezimmer. Darcy ist mit Dante unterwegs, um für ihr großes Debüt zu proben – eine E-Mail wurde verschickt, ein paarmal weitergeleitet, und schon sieht es so aus, als wäre Mittwochabend die halbe Stadt mit dabei –, und Dad hat tatsächlich das Haus verlassen. Abe Collins, sein Geschäftsführer, ist überraschend vorbeigekommen, um ihn zur All-You-Can-Eat-Nacht ins Steakhaus mitzunehmen.
«Lass die Wäsche einfach im Bad liegen», sage ich. Ty steht vor dem Schrank und streckt sich mit seinen muskulösen Armen nach dem obersten Regal. «Ich wasche morgen.» Ich versuche, nicht an die Vision von dem Umzugslaster und deren Bedeutung zu denken, aber sie
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