Was im Leben zählt
nicht in der Lage dazu bin, dass ich weder die Führung noch eine Beratung übernehmen kann, ganz zu schweigen davon, beides zusammenzubringen. Doch CJ macht nur große Augen, während meine sich mit riesigen Tränen füllen. Sie rollen mir über das Gesicht, ehe ich sie aufhalten kann.
«Tut mir leid», sagte ich und schlage die Hände vors Gesicht. «Es tut mir leid. Ich bin heute Vormittag ein bisschen durch den Wind.»
«Ich habe es schon gehört», sagt sie und zuckt leicht zusammen.
«Wer hat das nicht?» Ich stütze das Kinn auf die Hände.
«Wahrscheinlich niemand.» CJ lächelt schief. «Passt irgendwie zu meiner Meinung.»
«Über was?», knurre ich.
«Über diese Stadt.» Sie zuckt die Achseln. «Darüber, dass sie einem irgendwie alles wegnimmt: die Privatsphäre, die Identität … verdammt, mich macht doch allein schon die Tatsache, dass ich es hier zum Kotzen finde, zur Außenseiterin.»
«CJ, du bist keine Außenseiterin», sage ich. «Du bist Schülersprecherin und Vorsitzende vom Sozialausschuss. Und Star des Musicals. Und noch etwa eine Million andere Dinge.» Genau wie ich früher . Als würde irgendein dämliches Amt in der Schule im Entwurf des Lebens tatsächlich eine Rolle spielen. Als wäre die Salbung zu jemand Besonderem damals in der High School tatsächlich der Vorbote für eine grandiose Zukunft. Damals dachte ich natürlich, es wäre so. Jetzt habe ich plötzlich das Gefühl, CJ könnte eine viel klügere Version meines alten Ichs sein.
«Egal», sagt sie, ein sehr vernünftiges Argument in meinen Ohren. Ja, genau, egal, Tyler, du Arschloch! «Hier hat doch keiner irgendwelche Ambitionen, außer hier zu leben, hier zu sterben und ewigen Ruhm für die Westlake Wizards.» Sie lässt sich gegen die Rückenlehne sinken.
Plötzlich wird mir klar, dass ich nicht hierbleiben kann, in diesem Büro, zusammen mit diesem Kind, das weiser ist als ich. Das packe ich einfach nicht!
«Der Triumphbogen», sage ich.
«Was?»
«Der Triumphbogen. Das stand auf unserer Liste – bitte sprich es nachher in unserem Meeting an. Du hast heute die Federführung. Ich habe im Internet einen gefunden, und ich möchte, dass ihr ihn bestellt und sichergeht, dass er auch rechtzeitig geliefert wird.» Ein Bild von Eli bei der Prom Night blitzt in meinem Kopf auf, Eli und das gertenschlanke Mädchen an seiner Seite, und mir wird schon wieder schlecht. «Ich muss gehen.» Ich stehe abrupt auf.
«Äh, okay, tut mir echt leid, aber was ist mit dem Sozialdienst?», fragt CJ.
«Sozialdienst?» Ich frage mich, ob sie mir durch die Blume sagen will, ich bräuchte vielleicht psychologische Unterstützung. Das ist wahrscheinlich gar nicht so abwegig.
«Ja, für das Wesleyan», sagt sie. «Sie meinten, ich muss was Soziales machen. Ich habe mich im Krankenhaus beworben, glauben Sie, das ist okay? Ist zwar hauptsächlich Bestände auffüllen und Papierkram, aber die waren die Einzigen, die mir zwischen der Schule und meiner Schicht im Restaurant noch was geben konnten.»
«Oh, ja, deshalb hatte ich dich hergebeten. Ja, genau, schön, das ist sicher okay. Ganz bestimmt. Um ehrlich zu sein, das ist im Grunde nur Füllwerk. Für deinen Lebenslauf. Wen kümmert das schon?»
CJ sieht mich schief an. So viel Offenheit ist sie nicht von mir gewohnt. Ich stürze zur Tür hinaus, den Flur hinunter, vorbei an dem Urteil und dem Geflüster und der zerstörten Geborgenheit eines Ortes, der mich einst umfing wie eine Rettungsweste. Doch die Außenwelt hat sich einen Weg in meinen Kokon gebrannt, und nichts wird jemals wieder so sein, wie es war, und die Frage lautet, ob ich ohne diese Schwimmweste untergehe oder schwimme. Im Augenblick ist das Spiel, wie Tyler es ausdrücken würde, völlig offen.
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Sechzehn
I ch zwinge die verklebten Augen auf. Auf dem Nachttisch steht eine halbleere Flasche Tequila. Ich tippe mir mit dem Handrücken gegen die Wimpern, aber die Kruste ist hartnäckig. Mein Mund fühlt sich an wie ein Fliegenfänger, klebrig vor getrockneter Spucke, und meine Zunge schmeckt nach fauligem Thunfisch. Über mir steht eine Gestalt, die ich nur mit Mühe fokussieren kann. Ich muss blinzeln, um zu erkennen, wer es ist.
«Steh auf», sagt mein Vater. «Los, Tilly, steh auf. Das geht jetzt seit Mittwoch so. Es reicht.»
Mit Schwung zieht er mir die Bettdecke weg, aber ich zerre mir nur ein Kopfkissen über das Gesicht, um die drohenden Kopfschmerzen abzuwehren.
«Geh weg», sage ich, die
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