Was ist Demokratie
ungarische Reform-Ministerpräsident Imre Nagy und Alexander DubÄek, Erster Sekretär der KPÄ, verstanden sich gewiss als Anwälte eines «Sozialismusmit menschlichem Antlitz», wie ihn DubÄek proklamierte, mit Ausstrahlung bis in die westeuropäische Linke hinein, die zur gleichen Zeit nach einem «Dritten Weg» zwischen liberal-kapitalistischer Demokratie und sowjetischem Kommunismus suchte. Wären ihre Experimente geglückt, hätten Ungarn oder die Tschechoslowakei vermutlich in ihrer Wirtschafts- und Sozialordnung an manchen sozialistischen Strukturen festgehalten. Die politische Organisation ihrer Länder jedoch wäre schon damals unzweifelhaft dem westlichen Modell der pluralistischen Demokratie auf der Grundlage individueller Grund- und Freiheitsrechte gefolgt.
DubÄek und der «Prager Frühling» waren hier gewiss etwas zögerlicher; die ungarische Revolution gelangte ohne Umschweife an diesen Punkt, spätestens als Imre Nagy am 30.Oktober 1956 den Ãbergang zu einem Mehrparteiensystem ankündigte und ein «freies, demokratisches und unabhängiges Ungarn» versprach. Nur fünf Tage später floh Nagy vor den sowjetischen Interventionstruppen und der kommunistischen «Konterrevolution» â hier trifft der Begriff wirklich einmal! â seines Nachfolgers Janos Kadar in die jugoslawische Botschaft; im Juni 1958 wurden er und einige Mitstreiter zum Tode verurteilt und gehängt. Hunderttausende Ungarn flohen in den Westen, wo bei linken Intellektuellen in England und Frankreich, in der Bundesrepublik und Italien Illusionen über die Natur und Reformfähigkeit des sowjetischen Kommunismus zerstoben wie erneut nach der Niederschlagung des Prager Experiments im August 1968. Den westlichen Regierungen dagegen war ihre eigene Hilflosigkeit peinlich â vielleicht ist das ein Grund dafür, dass die Aufstände im kommunistischen Mitteleuropa im gesamteuropäischen Gedächtnis der Demokratie nicht den Platz einnehmen, der ihnen eigentlich zukäme.
Dabei versuchten diese Bewegungen nicht einfach, den Westen einzuholen. Sie zielten nicht nur auf die «nachholende Revolution», wie sie Jürgen Habermas später mit Blick auf 1989 nannte, sondern entwickelten eigenständige und neuartige Muster der Demokratie, die später auch für den Westen beispielgebend wurden, oder doch zumindest mit westlichen Veränderungen parallel liefen. Die osteuropäischen Proteste der späten 1960er Jahre waren insofern Teil der globalen Studenten-und Kulturrevolte von «1968». Ihnen gelang sogar, wonach die westeuropäischen, besonders die Pariser Studenten vergeblich strebten: das Bündnis zwischen industrieller Arbeiterschaft und Akademikern. In Polen wirkte diese Verbindung besonders nachhaltig, als Intellektuelle wieAdam Michnik und Jacek KuroÅ in der erneuten Streikbewegung von 1976 das «Komitee zur Verteidigung der Arbeiter» (KOR) gründeten, von dem aus eine Linie in die Danziger Streiks von 1980 und die Formierung der Gewerkschaft «SolidarnoÅÄ» führte. Die polnischen Ereignisse seit 1980 sind überhaupt ein gutes Beispiel dafür, wie sich klassische Forderungen und neue Konzepte von Demokratie verknüpften: Einer der gröÃten Triumphe Lech WaÅÄsas und der Danziger Arbeiter der Lenin-Werft war es, als ihre Gewerkschaft am 10. November 1980 offiziell registriert, damit also das Grundrecht auf Assoziationsfreiheit indirekt anerkannt wurde. Gleichzeitig entwickelten die Intellektuellen in ihrem Umfeld die Idee einer demokratischen «Zivilgesellschaft» gegen den autoritären und bevormundenden Staat, die über den ursprünglichen Horizont der repräsentativen Demokratie hinausdrängte und auch im Westen ihre Nachahmer und Mitstreiter fand.
6 Die Freiheit des Westens:
Demokratie als Kampfideologie im Kalten Krieg?
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spitzte sich der Konflikt zwischen den bisherigen Alliierten des Kampfes gegen Nazi-Deutschland und die Achsenmächte schnell und scharf zu. Besonders die Vereinigten Staaten, als nun endgültig unbestrittene Vormacht des liberal-kapitalistischen Westens, und die immer noch von Josef Stalin geführte kommunistische Sowjetunion rangen um ihre militärischen und politischen Einflusszonen in Europa, bald auch darüber hinaus, besonders in Ostasien. Hinter dem Macht- und Interessenkampf stand ein
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