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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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scheinbar in einem Land der unbegrenzten Möglichkeiten befanden. Beides sind Theorien, die längst als Mythen erwiesen sind. Das Land war nicht frei, und die Möglichkeiten waren oft sehr begrenzt. Man musste mit der indianischen Urbevölkerung kooperieren und verdrängte diese zugleich. Das erwartete Gold fand sich nicht. Zumal im Süden konnten die Siedlungen nur durch die Arbeit afrikanischer Sklaven profitabel werden.
    Aber auf der anderen Seite kannte die weiße Siedlergesellschaft, trotz krasser Ungleichheit zwischen Lohnknechten und reicher Pflanzerelite mit aristokratischem Lebensstil, keine geburtsständischen Festlegungen von sozialem Status und politischen Rechten. Eine feudale Gesellschaft und Wirtschaft konnte sich, von winzigen Ausnahmen abgesehen, nicht etablieren. In den nördlichen Kolonien von Neuengland, wo sich religiöse Minderheiten wie die Puritaner angesiedelt hatten, bildeten sich dichte Dorfgemeinschaften, in denen die politische Mitbestimmung breit gestreut war. Für die Menschen europäischer Herkunft war dieStadtluft in Boston, New York oder Philadelphia «freier» als häufig in ihrer Heimat. Und überall gewannen die repräsentativen Versammlungen im Laufe des 18. Jahrhunderts Gewicht und Eigendynamik. Sie wurden als koloniale Pendants zum britischen Unterhaus verstanden. Die Wahlen ihrer Vertreter begannen Streit und politische Debatten zu erregen. Das Selbstbewusstsein dieser kleinen Parlamente nahm zu, auch gegenüber der Monarchie, den kolonialen Beamten, dem Gouverneur. Aber man war nicht im eigentlichen Parlament, in London, repräsentiert, und sollte trotzdem Steuern dorthin zahlen: So entstand in der Krise der 1760er Jahre, als England nach dem Siebenjährigen Krieg seine Kolonien für dessen Kosten zahlen lassen wollte, der berühmte Ruf: «No taxation without representation» – keine Steuern ohne parlamentarische Vertretung.
    Das war 1765 der Beginn der Revolution. In ihr kämpften nicht nur koloniale Eliten – Kaufleute, Anwälte, Sklavenbesitzer – gegen die britische Vormundschaft. Viele einfache Leute beteiligten sich an den Protesten, begannen Zeitungen und Flugblätter zu lesen und verstanden den Unabhängigkeitskampf auch als einen Konflikt um ihre eigene Freiheit, ihre Rechte, ihre Position in der Gesellschaft. In manchen Regionen, etwa in Virginia, hatte kurz zuvor eine Erweckungsbewegung die religiöse Landschaft tiefgreifend verändert: Kleine Farmer sammelten sich bei den Methodisten, und Baptisten forderten die anglikanische Elitenreligion heraus. In den Städten inszenierten die Unterschichten Proteste und Tumulte, oft im Einverständnis mit der Oberschicht: so, als in der «Boston Tea Party» im Dezember 1773 aufgebrachte Bostoner Bürger, teils als Indianer verkleidet, den wertvollen Tee von drei britischen Schiffen ins Hafenwasser kippten. Handwerker trieben die Radikalisierung in den Küstenstädten voran und vertraten ein frühdemokratisches Programm von Freiheit und Gleichheit, das über die Vorstellungen der Oberschicht weit hinausging. Und in den ländlichen Gebieten, fernab des Atlantiks, häuften sich bis in die 1790er Jahre kleinere Aufstände, in denen einfache Siedler den Küsteneliten mehr Mitsprache abforderten.
    So war die Revolution nicht nur ein Streit um die Unabhängigkeit der Kolonien von England, sondern auch eine Bewegung der massenhaften Politisierung und ein Streit um eine demokratischere Gesellschaft. Die Verbindung dieser Ziele brachte Thomas Paine im Januar 1776 in seinem Pamphlet «Common Sense», der einflussreichsten Flugschrift der Amerikanischen Revolution, in ebenso scharfen wie einfachenWorten zum Ausdruck: Nicht nur war der englische König ein Tyrann; die ganze englische Verfassung war schlecht, weil kompliziert. Eine Republik musste schlicht konstruiert sein, «simple», damit die Rechte der Menschen ohne Umwege ihren Ausdruck in Institutionen finden konnten. Ein halbes Jahr später, am 4.Juli 1776, proklamierte die von Thomas Jefferson maßgeblich formulierte Unabhängigkeitserklärung ähnliche Gedanken. Demokratisch waren die 13 neuen Staaten damit noch nicht. Der Pflanzer und Sklavenhalter Jefferson wusste genau, dass der Grundsatz «All men are created equal» nicht für alle Menschen galt: weder für die Sklaven noch für die Frauen, nicht für die Indianer und noch nicht

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