Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
sub relatione.
Subiectum quoque accidentis propria substantia est cum aliena. Quae aliena si recedit, perit accidens, id est proprietas agens.
Relatione ergo ad primum agens omnis substantia accidens est, et accidens nihil, et substat nihil substantiae ut alienum: substantia divina est ut substantia propria quae non fluit.
Der aristotelisch geschulte Leser – und das waren bis etwa 1800 alle europäisch Gebildeten – atmete hier auf. Er traf auf ein Begriffspaar, das er kannte: Substanz und Akzidens. Die Substanz, das ist dieser Mensch da, das Akzidens ist seine Farbe oder seine Größe. Bäume, Tiere sind ebenfalls Substanzen, und jede Substanz hat viele Eigenschaften, die sich in zehn Großgruppen oder Kategorien einteilen lassen. Dies war Schulstoff seit der Antike. Diese Denkart hielt an, von der Erfahrung auszugehen. Das verstand jeder. Das Weltsystem bestand aus einer Vielzahl von Substanzen mit einer Vielzahl von deren Eigenschaften; die Substanzen waren das Bleibende, Tragende, Grundlegende, das wirkliche Sein, mochten sie auch in letzter Instanz getragen sein von der Ursubstanz, an der alle Substanzen mit ihren Eigenschaften hingen.
Aber unsere Definition sagt: Ihr müsst die Kategorie der Relation verstehen. Was relativ ist, hängt von einem Fremden ab. Verschwindet dieses Fremde, verschwindet auch der darauf bezügliche Seinsbestand. Bei relativen Eigenschaften seid ihr an dieses Verschwinden gewöhnt, bei Substanzen nicht. Aber im Licht der göttlichen Einheit gesehen, haftet der Substanz das Nichts an. Das sagt nicht etwa eine mystische Grübelei, sondern die einfache Einsicht: Ein Pferd ist nicht ein Baum. Alles, was ist, schließt anderes aus. Es ist selbst ein Anderes. Dieses Ausschließen ist die Gegenwart des Nichts in der scheinbar feststehenden Substanz. Was ihr als Substanz anseht, ist keine wahre Substanz. Es hat in sich den immanenten Ausschluss, also das Nichts. In der unendlichen Einheit verschwindet das Nichts und also auch die von ihm gezeichnete Substanz. Sie hängt an der Ersteinheit wie deren bloße Eigenschaft, nicht als wäre deshalb die Einheit ihr dinghafter Träger. Sie ist das allein Bleibende, Tragende, Grundlegende; es gibt nicht vielerlei Sein, sondern nur das eine. Die Eigenschaften, die ihr als Instanz anerkennt, sind das reine Nichts im Verhältnis zur Ersteinheit.
Gott denken, das heißt: die gewöhnliche Hierarchie von Ding und Eigenschaft hinter sich lassen. Was Eigenschaften hat, steht in einem Verbund mit anderen Wesen; seine Eigenschaft ist von diesem mitbewirkt, ist fremdbestimmt, ist bezüglich wie ein Sohn zum Vater.
Auch die Substanz ist relativ; sie hat das ihr fremde Nichts in sich und verschwindet mit diesem. Das Erste, das nur sich selbst auszählt, keine Fremdbestimmung kennt, das ist Gott.
Gott ist das einzige Wesen. Er erscheint im Vielerlei. Ihr nennt diese Erscheinungen Substanzen, aber sie sind keine Wesen, sondern flüchtige Erscheinungen an ihm. Gott ist die einzige Substanz.
Der Satz: ‹Der Substanz liegt das Fremde als ihr Nichts zugrunde›, substat nihil substantiae ut alienum, enthält den philsophischen Kern des Kommentars. Er fehlt aber in der ältesten Handschrift, Laon 412 (H S. 160). Die älteste Handschrift muss nicht immer die beste sein. Das ist einer der Gründe, weshalb ich den im Mittelalter verbreiteten Text nach h und nicht den der ältesten Handschrift nach H übersetze.
VII. Gott ist Grund ohne Grund, Prozess ohne Veränderung, Ziel ohne Ziel.
DEVS EST PRINCIPIVM SINE PRINCIPIO, PROCESSVS SINE VARIATIONE, FINIS SINE FINE.
Diese Definition erfolgt aufgrund des spezifischen Wesens.
Der Erzeuger erhält die Bestimmung ‹Erster› aufgrund des erzeugten Wesens, aber nicht in dem Sinn, als gebe es vor ihm etwas. Der Gezeugte allerdings geht hervor aufgrund der Erzeugung im Hinblick auf das Ziel, erleidet aber keine Veränderung, weil er ein Mittleres ist.
Die Definition sagt: Das Ziel des Erzeugers und des Erzeugten, die diese Namen verdienen, ist dasselbe, denn das göttliche Leben ist nur ein einziges Leben mit einem einzigen Mittleren. Ziel ist es, aber nicht als ein anderes, das durch Handlung erreicht werden müsste – wie bei einer Veränderung die Ruhe.
Haec definitio est secundum speciem data.
Genitor vero primum capit ratione geniturae, sed non sic primo ut non prius. Genitus vero procedit generatione in finem, sed non recipit variationem natura medii. Intendit enim quod idem est finis vero nomine generantis
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