Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
Vielheit der Weltinhalte andeutet. Doch war oratio ungewöhnlich. Noch Lorenzo Valla bekam im 15. Jahrhundert Schwierigkeiten, weil er verbum vermeiden und statt dessen bei der Übersetzung des Prologs des Johannesevangeliums sermo sagte.
Spruch IV klang im Mittelalter fremdartig. Es scheint, kein einziger christlich-mittelalterlicher Autor habe diese These zitiert. Dabei enthält sie die korrekte Trinitätslehre in philosophischer Umschreibung und nähert sich in der ‹Normalfassung› der gewohnten Diktion, indem sie vom Wesen der Gottheit sagt, es ‹worte› sich, verbificat se .
Die vierte Definition sagt: Gott spricht sich und die Welt in einer Rede aus. Er geht aus sich heraus, aber so, dass der Rückgang immer gewährt ist. Die Ersteinheit zählt sich aus; sie tritt zur Zweiheit über; sie verwortet sich, verbalisiert sich, sie nimmt das Universum idealer Strukturen in sich auf, verliert aber nie dabei – wie wir – den Selbstbezug. Gott, das ist das, was in verständiger Rede aus sich herausgeht und immer schon zu sich zurückgekehrt ist. Die Gottheit verbindet Erzeuger und Erzeugtes in sich. Sie ist diese Verbindung.
Dies ist Trinitätsphilosophie, aber wiederum sind die antiken Konzepte grundlegend. Die spezifisch christliche Sprache, selbst der Ausdruck verbum ist vermieden. Das dritte Moment, das der Rückkehr, ist als continuatio verfremdet; ein späterer Zusatz (?) spielt aber mit dem Wort spirando , als ‹Hauch› auf die christliche Umschreibung des Heiligen Geistes an.
Dass Gott mens ist, steht auch bei Aristoteles, sowohl im dritten Buch der Schrift Über die Seele wie im zwölften Buch der Metaphysik . Dass er eine Rede hervorbringt, ist neuplatonisch. Dass ein drittes Moment – vielleicht die Weltseele – die Rückkehr zum Ursprung betreibt, ist platonisch, ist neuplatonisch und in der Antike auch sonst weit verbreitet. Wenn diese Trinitätstheorie von einem Christen formuliert worden ist, dann bewegt er sich in antiker Diktion. Dann sagt er den Theologen: Was ihr als Offenbarung glaubt, das haben Philosophen vorher gewusst und gesagt. Sie haben Gott verstanden als sich auszählenden Erzeuger, als genitor numerans – ihr sagt dafür ‹Vater›; als sich in seinem Erzeugten verwortend, als genitura se verbificans – wofür ihr ‹Sohn› sagt, auch als bleibende Verbundenheit, als continuatio – wofür ihr ‹Heiliger Geist› sagt.
V. Gott ist das, worüber hinaus Besseres nicht gedacht werden kann.
DEVS EST QUO NIHIL MELIVS EXCOGITARI POTEST.
Diese Definition erfolgt im Hinblick auf das Ziel.
Denn die Einheit ist Ziel und Vollkommenheit. Die Einheit des Ziels ist das Gute. Je mehr eines, um so mehr das Gute.
Die Freude über die Wahrheit jeden Wesens ist sein Leben, kommt doch jedes Leben aus der Einheit, und diese entspringt der inneren Ungeteiltheit. Je mehr ein Wesen eines ist, umso mehr lebt es. Ihre Einheit aber ist die höchste.
Haec definitio data est a fine.
Unitas vero finis est et perfectio. Quod ergo sonat hoc, bonum est, et quanto magis, tanto magis bonum.
Gaudium ergo veritatis omnis essentiae sua vita est, vita quidem omnis ab unitate, haec autem ab interiori indivisione. Quanto igitur magis unum, tanto magis vivit. Sua unitas summa est.
Die umfanglose Kugel ist unendlich auch in ihrer Vollkommenheit. Denkt jemand etwas Vollkommeneres, dann ist eben dieses Gedachte die Gottheit. Der Vorgriff des Denkens über jede gegebene Vorstellung hinaus ist in dieser Definition Gottes enthalten.
Einheit, sagt der Kommentar, ist keine abstrakte Zusammenfassung, sondern Vollkommenheit und Leben. Einheit ist Gutheit, und je einheitlicher etwas ist, aufgrund innerer Ungeteiltheit, nicht aufgrund äußerer Organisation, um so mehr lebt es. Das Lebendigste, weil am wenigsten geteilte, ist – nach Ausspruch III – das Vollkommenste.
Geschöpfe haben teil an dieser Vollkommenheit: ihr Leben, das ist die Freude über die Wahrheit ihres Wesens. Grundlegend ist hier der Begriff des Lebens – als innere Konzentration auf sich selbst, als gesteigerte Einheit, als Freude darüber, dass das eigene Wesen seine Wahrheit hat. Lebendigkeit als Form der Einheit – dieser Gedanke bildet eines der Momente der Kohärenz des ganzen Liber. [ 33 ]
Zwischen Definition V und Kommentar besteht folgender Zusammenhang: Der fünfte Ausspruch erklärt, wie Gottes Vollendetsein – dass er Endziel ( finis ) ist, also das denkbar höchste Ziel jeden Strebens – gedacht werden soll, nämlich so,
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