Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
inhaltlich wohlbestimmte Folgen; es relativiert kosmologische, gesellschaftliche und kirchliche Hierarchien.
Der Text gibt zu verstehen, dass es mit dem Begriff der ‹Einfachheit› Komplikationen gibt. Irgendeine Art innerer Gliederung der unendlichen Gottheit scheint es ihm zufolge doch zu geben, sonst könnte die Vorstellung von ‹Teilen› oder inneren Rhythmen der Gottheit nicht aufkommen. Diese Vorstellung wird evoziert, um überwunden zu werden.
Die göttliche Einheit ist als inhaltsreich, sozusagen als ‹gefüllt› zu denken, aber als homogen, als das ganze Sein, überall und gleichzeitig, das deswegen über allen Seienden steht, super et extra .
Noch ist es zu früh, über die Gesamtheit der vierundzwanzig Sprüche zu urteilen. Doch die Sätze I bis III zeigen logischen Zusammenhang. Sie skizzieren kohärent eine philosophische Theologie und eine neuplatonisierend konstruierte Trinitätslehre.[ 30 ]
Der alte Kommentar bringt wesentliche Zusätze. Er erklärt, dass wir das Wesen der Gottheit wissen, und sagt, diese Definition werde gegeben aus dem Nachdenken über das Wesen der Gottheit in ihrer Einfachheit. Sodann hält er, These II fortführend, fest: Die Gottheit ist überall ganz. Sie ist das ganze Sein und eben deswegen über und außerhalb von allem Sein. Diese göttliche Ganzheit ist super und extra . Ihr allumfassendes Sein denken wir, wenn wir sie als über dem Sein stehend denken. Von ihr sagt Definition XX: Est superessentialiter (XX h S. 27, Z. 7; hier S. 65). Von ihr müssen wir beides denken: dass sie ist und dass sie über dem Sein steht, das Grenze und Nichtsein sagt.
Der Kommentar legt einen starken Akzent auf die Autarkie der Gottheit: Ihre innere Kraft der Selbstdurchdringung versagt nie; Fremdeinwirkung, die sie mindern könnte, ist ausgeschlossen, also bestimmt sie durch sich selbst alles, was zu ihr gehört.
IV. Gott ist Geist, der ein Wort erzeugt und dabei Verbindung wahrt.
DEVS EST MENS ORATIONEM GENERANS, CONTINVATIONEM PERSEVERANS.
Diese Definition spricht das charakteristische Leben der Gottheit aus, je nach ihren verschiedenen Wesensseiten:
Denn als Erzeuger zählt sie sich aus, indem sie erzeugt,
als zu Erzeugende macht sie sich zum Wort (verbificat se), weil sie erzeugt wird,
wesensgleich wahrt sie die Verbindung, indem sie sich als Hauch verhält (se habet spirando).
Haec definitio dicit vitam propriam secundum rationes diversas ipsius essentiae deitatis.
Numerat enim se genitor gignendo;
genitura vero verbificat se quia gignitur;
adaequatur vero per modum continuationis, se habet spirando. [ 31 ]
Gott ist Geist, der sich ausspricht und mit seinem Ausgesprochenen in wesenhafter Verbindung bleibt.
Wiederum überrascht die Erkenntniszuversicht. Die Gottheit, weiß der Philosoph, ist Leben, und das Wesen der Gottheit, das er kennt, hat verschiedene Seiten oder Tätigkeiten, seiner Einfachheit ungeachtet. Der mittelalterliche Kommentar sagt auch in der ältesten Textform (H S. 156), die vierte Definition beruhe auf den verschiedenen rationes des göttlichen Wesens. Rationes kann vieles heißen: Wesensgründe, Gesichtspunkte, Argumente, auch Momente.[ 32 ] Ich habe übersetzt mit ‹Wesensseiten›, obwohl die unendliche Kugel keine Seiten hat. Ich wollte damit festhalten: Der Text beschreibt nicht bloß subjektive Einteilungen, was die Betonung des Auffassens, des acceptus , in I (I h S. 5, Z. 5; hier S. 26) hätte nahelegen können. Der Text beschreibt den drei-einigen Lebensrhythmus der unendlichen Einheit. Gott, sagt er, ist Geist, der ein Wort, einen logos , hervorbringt. Das ist antike Philosophie, vom Prolog des Johannesevangeliums übernommen. Sie hat zwei Elemente: Geist und Rede oder Wort. Vielleicht sollte man oratio mit ‹Rede› übersetzen, auch mit ‹Sprache›. Der Autor meidet das theologische Fachwort ‹Wort›.
Bleiben wir zunächst bei ‹Geist›. Was könnte sich ein Autor oder ein älterer Leser dabei gedacht haben? Nehmen wir an, er habe Aristoteles gelesen, dann mochte er denken:
Gott, das ist Wissen, ist Wissen seiner selbst, also in sich zurückkehrendes Wissen.
Gott ist Leben, weil er sich denkend aus sich selbst und in sich selbst bewegt.
Gott schaut sich selbst an; er lebt in dieser Selbstanschauung; er ist Glück in seinem intellektuellen Leben.
Der Ausdruck ‹Wort› ( verbum ) war in Antike und Mittelalter üblich für logos, aber der Autor zieht ‹Rede› ( oratio ) vor, vielleicht, weil diese Vokabel die geeinte
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