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Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Titel: Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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sie sich. Gott ist das, was man unmöglich besitzen wollen kann.
    An diesem ‹er verbirgt sich› ( latet ), das auch die älteste Handschrift und ihr Kommentar unterstützen, haben sich schon mittelalterliche Leser gestört. Einige Abschreiber ersetzten es durch ‹er gefällt› ( placet ); sie dachten sich ihr Gottverhältnis lustvoller, glücklicher. Übrigens las auch Meister Eckhart hier placet . Aber latet passt gut. Wenn die einzelnen Substanzen, an denen sich unser Blick und unser Denken festmachen könnte, also dieser Mensch und dieser Baum, nicht wirklich selbständig sind, sondern Eigenschaften des Urwesens, dann geht die Übersicht verloren, nicht weil Gott einen unerforschlichen Willen hätte, sondern weil er die Alleinheit ist. In diesem Meer des Seins gibt es keine Balken, auf die wir distinkte Erkenntnisse aufbauen könnten. Deswegen übersetze ich das latet der achten Definition nicht als: ‹er entzieht sich›. Er zeigt sich vielmehr als verborgen. Je mehr wir uns ihm zuwenden, also das Weltgesetz von Hervorgang und Rückkehr an uns vollziehen, je mehr wir über ihn nachdenken, um so verborgener wird er uns, nicht als ferner Weltenkaiser, nicht als unbekannte Willensenergie, sondern als Alleinheit, die Liebe ist, weil sie alles belebt, alles bewegt, alles auf sich hinbewegt und beseligt. Es ist keine Düsternis in dieser Verborgenheit. Der Philosoph bangt nicht, ob sein Gott ihm gnädig ist. Gott ist die Liebe. Er kann nicht anders als gnädig sein. Er verbirgt sich nicht künstlich oder pädagogisch oder drohend. Er ist verborgen, weil er ein und alles ist.
    Diese These handelt von der Liebe, welche die unendliche Einheit in den Geschöpfen bewirkt, sie zur Rückkehr bewegend. An dieser einzigen Stelle redet der Autor den Leser direkt an: Durch die Liebe zu ihm wirst du erhöht, und Er entrückt ins Erhabene.
    Der Liber will auch Lebenslehre sein. Er rät: Vereinige dich mit dem Einen, mit dem du immer schon vereint bist.

    IX. Gott ist das, dem allein alles gegenwärtig ist, was der Zeit gehört.
    DEVS EST CVI SOLI PRAESENS EST QVIDQVID CVIVS TEMPORIS EST.
    Diese Definition beruht auf der Wesensgestalt.
    Das Ganze sieht mit einem einzigen Blick alle Teile, der Teil sieht hingegen das Ganze nur in je verschiedenen, aufeinander folgenden Ansichten. Die Gottheit ist daher die Gesamtheit der aufeinander folgenden Wesen. Ihr Blick ist daher ein einziger und ohne zeitliche Abfolge.
    Haec definitio est secundum formam.
    Totum quidem uno aspectu omnes partes videt, pars vero totum non videt, nisi diversis respectibus et successivis. Propter hoc deitas est successivorum totalitas. Unde intuitus eius unicus est, non consequenter factus.

    Wir Menschen haben immer nur Begrenztes gegenwärtig. Unser Zeitbewusstsein läuft über eine enge Schwelle; es ist eine enge Schwelle. Selbst vieles, was wir wissen, ist uns im Augenblick nicht gegenwärtig; viel mehr noch war uns nie gegenwärtig. Gott ist das, bei dem es keine Schwelle des Zeitbewusstseins gibt. Er ist die Totalität. Auch was in sich zerstreut ist, das Zeitliche, ist in ihm unzerstreut gegenwärtig. Die drei Zeitdimensionen fallen in ihm zusammen. Er enthält die Wesensformen aller Dinge in sich. Er ist die totalitas successivorum , die Totalität von allem Sukzessiven. Daher unterliegt er als einziges Wesen nicht der Sukzession. Er ist als einziges Wesen von nicht-nachträglicher Unendlichkeit; er ist das Ganze, Weltdinge und Weltereignisse bezeichnet der Kommentar metaphorisch als seine Teile ( partes ).

    X. Gott ist das, dessen Können nicht gezählt,
dessen Sein nicht eingeschlossen,
dessen Gutsein nicht begrenzt wird.
    DEVS EST CVIVS POSSE NON NVMERATUR,
CVIVS ESSE NON CLAVDITVR,
CVIVS BONITAS NON TERMINATVR.
    Diese Definition wird evident aus der vierten und der siebten.
    Im Können erschaffener Wesen tritt erstmals die Zahl auf, denn hier führen Wirkungen in größerer oder geringerer Zahl das Mögliche zum Wirklichen. Sind es unendlich viele, nennt man das ‹unmöglich›. Dasjenige aber, von dem alles in Wirklichkeit geführt wird, hat unendlich viele Wirkungen; deswegen wirkt es in einem einzigen Augenblick. Wo es aber eine unendliche Anzahl derer gibt, die auf Wirklichkeit hingeordnet sind und wo es Widerstand gibt, kann es zu keinem Ergebnis kommen.
    Jedes Sein bedeutet Einschließung (clausio) einer Endlichkeit. Daher gibt es vom Mittelpunkt bis zu seinem Sein nur endlich viele Tätigkeiten. Im göttlichen Sein ist es nicht so,

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