Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
ausdrückt, sie sei ad essentiam data . Die negative Theologie der vorgehenden These scheint vergessen. Insofern besteht zwischen XXIII und XXIV keine Folgerichtigkeit. Aber dem Leser ist längst klargeworden, dass das Wort definitio hier keine Definition im schulmäßigen Sinn nach Gattung und Art bedeuten kann. Gott ist undefinierbar. Der Liber evoziert Raumbilder, die sich zerstören, er präsentiert ‹Definitionen›, die keine sein können.
Die letzten drei Sprüche schließen die Untersuchung ab:
Gott ist Alleinheit, außerhalb derer nichts ist. Deswegen ist er nicht wie ein Einzelding zu denken. Er schöpft das Weltsein aus sich, wird aber nicht aufgeteilt. Wir sind in ihm, aber nicht wie in einem Gefäß oder wie in einem anderen Stoff; wir sind nicht mit ihm vermischt, sagt Satz XXII. Die Definition XXIV betrachtet dieses Verhältnis von Seiten der Dinge her und sagt: Er ist in allem. Aus allem tritt er uns entgegen. Aber nicht in seiner reinen Unbestimmtheit, sondern als Gottförmigkeit der Dinge, die das Urlicht zur Erscheinung bringt.
Die ältere philosophische Sprache verfügte nicht über die Ausdrücke ‹Pantheismus› und ‹Theismus›. Aber deutlicher als in den Thesen XXII und XXIV konnte und brauchte man nicht sagen: Wir behaupten die Alleinheit, verwechseln aber nicht das All-Eine mit Dingen. Die Diskussion um Pantheismus oder nicht, geht an diesen Erklärungen vorbei. Wahr ist, dass die dogmatischen Wendungen ‹Gott als ein Wesen in drei Personen› nicht vorkommen. Immerhin: Gott ist gedacht als Geist, als Überseiender, als Sprechender, als Zählender, als Vielheitsbegründer und Urlicht. Aber Zorn oder auswählende Vorlieben, irgendwelche Anfälle von Reue oder unverdienter Zuneigung sind bei ihm undenkbar. Aber mit Weltdingen verwechseln lässt er sich auch nicht.
Unsere vierundzwanzig Philosophen denken alleinheitlich, sie denken einheitsphilosophisch, aber pantheistisch denken sie nicht. Allerdings werfen sie zuletzt alle Prädikate, die sie zwischendurch ermitteln, in den Abgrund göttlicher Bestimmungslosigkeit. Aussagen wie: Das Eine ist Geist, ist Grund und Ziel, ist unbewegter Beweger, usw., versenken sie zuletzt in die Nacht des Nichtwissens. Gott, das ist zuletzt das, was nur im Nichtwissen, im Abwerfen aller Prädikate gewusst wird. Doch beachten wir auch die dreiundzwanzigste Definition: Gott wird im Geist erkannt, nach intensiver Denkarbeit an allen Welterfahrungen intellektuell herausgearbeitet, nicht im Glauben, Fühlen oder Ahnen. Die docta ignorantia ist intellektuelle Tätigkeit; sie ist ein Erblinden, aber als geistige Erkenntnis in ihrer Notwendigkeit erfasst. Kein Befehlsempfang, keine Kirchenvermittlung, kein bloßes Wollen oder Ahnen. Kein ergebnisloses Suchen.
Die vierundzwanzig Philosophen waren klug genug, das Ergebnis ihrer endgültigen Prüfung nicht aufzuschreiben. Von der errungenen gemeinsamen Gewissheit über Gott ist am Ende nicht mehr die Rede. Der Leser muss sie suchen.
IV. Nicht nur Definition II:
Thomas Bradwardine
Thomas Bradwardine war Theologe, Mathematiker und Philosoph. Er betrieb naturphilosophische Untersuchungen zum Phänomen der Bewegung und des Kontinuums; ihn interessierte deren Mathematisierbarkeit. Er lehrte von 1325 bis 1335 am Merton-College in Oxford; danach war er Domherr an der Saint Paul’s Cathedral in London und Berater Eduards III. Er ist 1349 kurz nach seiner Wahl zum Erzbischof von Canterbury an der Pest gestorben. 1344 schloss er, nach sieben Jahren Arbeit, sein Riesenwerk Gott gegen Pelagius (De causa Dei contra Pelagium ) ab.[ 82 ] Der Titel zeigt an, dass er Augustinus verteidigen wollte, konkret: dessen gegen Pelagius sich verhärtende Gnadenlehre, indem er die allesbestimmende Kausalität Gottes bewies. Dies klingt nach Rückschritt, schließlich hatten Theologen seit dem 9. Jahrhundert, besonders aber nach Abaelard die augustinische Gnadenlehre mehr oder weniger respektvoll zurückgedrängt und umgebildet. Sie war unvereinbar mit der Selbständigkeitserfahrung und dem Freiheitsbewusstsein, die sich aus realgeschichtlichen Gründen seit dem Ende des 11. Jahrhunderts entwickelt hatten. Bradwardine wollte zu Augustins Gnadenlehre zurück, aber dazu musste er Innovationskraft beweisen. Und dazu diente ihm von der ersten Seite an der Liber 24 philosophorum. Bradwardine setzte an den Anfang seines Werks das Axiom der V. Definition: Gott ist das, worüber hinaus Vollkommeneres nicht gedacht werden kann. Bradwardine, der
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