Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
sprechen. Er schreibt nicht: Drei-Einigkeit, sondern triformis essentia . Er hat die christliche Lehre vor Augen, übersetzt sie aber in seine eigene philosophische Sprache. Die unendliche Einheit wird als Erzeuger nicht geteilt. Sie gibt nichts von sich ab. Als Wesensbild des Göttlichen ( species divina ) prägt sie das Artsein der Dinge, ohne sich dabei zu verändern. Als Lebensspender – das ist in Kirchensprache der Heilige Geist – versammelt sie in sich alle Dinge, ohne sich mit ihnen zu vermischen.
XXIII. Gott ist das, was der Geist nur im Nichtwissen weiß.
DEVS EST QVI SOLA IGNORANTIA MENTE COGNOSCITVR.
Diese Definition folgt aus der einundzwanzigsten.
Die Seele erkennt nur das, wovon sie ein Erkenntnisbild aufnehmen und was sie mit dem Urbild (exemplar) vergleichen kann, das in ihr ist. Die Seele besitzt ein Urbild, aber nur von dem, was durch sie aus dem ersten Grund ins Sein geflossen ist.
Folglich wird sie von dem, was über ihr ist, keine Erkenntnis haben. Also auch nicht vom ersten Grund. Aber nachdem sie das gesamte Wissen der anderen Inhalte betrachtet hat, hebt sie aus den Dingen die erste Ursache hervor, erfasst ihren Gegensatz zum Nichts und so wird die Seele eine Erkenntnis haben, soviel sie davon erwerben kann.
Und das ist im wahren Sinne ein Nichtwissen: wissen, was sie nicht ist, und nicht wissen, was sie ist.
Haec definitio cognoscitur per vicesimam primam.
Nihil cognoscitur ab anima nisi cuius speciem recipere potest et ad exemplar eius quod est in ipsa comparare. Nullius enim habet anima exemplar nisi illius quod per ipsam a prima causa fluxit in esse.
Igitur eius quod est super ipsam non habebit cognitionem, igitur non primae causae. Sed cum omnem aliorum contemplata fuerit scientiam, extrahendo ipsam primam causam a rebus et supponendo oppositionem nihil, quantum poterit acquirere sic habebit cognitionem.
Et hoc est vere ignorare, scilicet scire quid non est, et nesciendo quid est.
Der Kommentator bemüht sich, den inneren Zusammenhang der vierundzwanzig Definitionen zu zeigen. So sagt er zur dreiundzwanzigsten These, sie folge aus der Definition XXI: Gott, das ist die Finsternis, die in der Seele verbleibt nach allem Licht.
Die These sagt nicht einfach, Gott sei unerkennbar. Er wird von uns erfasst, aber nur im Geist, also nicht im Wahrnehmen, nicht im Fühlen, Ahnen oder Glauben. Er wird erfasst, aber dazu gehört die Denkarbeit der Seele, die zuvor alle ihre Inhalte untersucht hat. Insofern erklärt der Ausspruch XXIII auch die radikal-negativen Thesen XVI und XVII.
Der Kommentar gibt einen Abriss der Philosophie der Erkenntnis: Die menschliche Seele ist angewiesen auf äußere Erfahrung, die sich als Erkenntnisbild ( species ) in ihr abzeichnet. Alle ihre Erkenntnis beginnt mit den Sinnen, sie endet aber nicht mit ihnen. Denn die Seele bezieht ihr Bild des äußeren Eindrucks zurück auf das Urbild ( exemplar ), das sie in sich trägt. Sie ordnet und bewertet ihre Eindrucksbilder. Aber wovon hat die Seele urbildhafte, normative Ideen in sich? Die Antwort lautet: Sie hat sie nur von dem, was vom ersten Grund durch sie zum Sein gekommen ist. Was ist durch sie zum Sein gekommen? Die Angaben sind ungenau. Die Angaben sind restriktiv: Nicht alle Weltdinge sind durch die Seele ins Dasein ‹geflossen›. Am wenigsten Gott. Wäre hier von der Weltseele die Rede, wäre die Welt aus ihr geflossen und also erkennbar. Als Menschenseele kennt sie so nur ihre eigenen Begriffe und ihre Taten. Diese kann sie beurteilen und bewerten. Aber vom ersten Grund hat sie keine apriorische Erkenntnis. Ihn muss sie suchen, indem sie die Welt durchgeht und aus allen Gegenständen den ersten Grund hervorhebt. Sie erkennt seinen Gegensatz zum Nichts und erfasst damit Gott. Insofern tappt sie nicht im Dunkeln. Ihr bleibt ein Resultat. Spruch XIV sprach es aus: Gott steht im Gegensatz zum Nichts. Aber diese Einsicht ist durch Negation gewonnen; es ist ein nicht-bestimmendes Bestimmen; es ist Nichtwissen nach vielem Wissen. Der Spruch sagt: Ihr müsst Erkenntnisphasen unterscheiden und widersprüchliche Aussagen ausgleichen, indem ihr sie auf Stadien der intellektuellen Arbeit bezieht: zuerst die sinnliche Erkenntnis, dann deren bewertender Vergleich mit den normativen Gedanken in der Seele, zuletzt das Übersteigen im Beseitigen, also im Negieren der gewonnenen Bestimmungen. Allein im Nichtwissen als letztem Schritt wird Gott gewusst. Sola ignorantia , wie es markant heißt. Dieses Wissen ist
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