Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
dem ersten Grund zuzudenken, die ihm als dem denkbar Besten zukommen. Mit dieser Deduktionsregel – nicht mit empirischen, daher immer anfechtbaren Gottesbeweisen, aber im Einklang mit Definition V des Liber – baute Bradwardine seine philosophische Theologie; sie sollte apriorisch sein und dadurch imstande, nicht nur den Pelagianismus, sondern alle Häresien philosophisch zu widerlegen. Die fünfte Definition des Liber dient als Hauptvoraussetzung, an der Bradwardine einzelne Aussagen der Glaubenslehre prüft. Er fragt zum Beispiel die Averroisten: Muss nicht ein Gott, der den Guten individuelle Belohnung zuspricht und den Bösen persönliche Strafen zudenkt, für besser gehalten werden als ein Gott, der sich um die einzelnen Menschen nicht kümmert? Mit Argumenten dieser Art will er Zweiflern und Juden die Wahrheit des Christentums beweisen. Auch die strenge Form der augustinischen Gnadenlehre – mit Prädestination der Guten und der Bösen – soll die logische Konsequenz der Erstannahme eines Wesens sein, über das hinaus Vollkommeneres nicht gedacht werden kann ( id quo melius cogitari non potest ). Bradwardine erinnert gelegentlich die Philosophen an ihre Grenzen: Sie kennen weder Gott noch die Natur bis auf den Grund.[ 87 ]
Aber damit distanziert er sich nicht von der Philosophie überhaupt. Er legt eine verbesserte Philosophie vor, eine apriorische Apologetik der christlichen Lehre. Schon gar nicht war er der Ansicht, die Philosophie könne Gott nicht erkennen.
Dass Gordon Leff diese Ansicht vortragen konnte, die schon durch die ersten Zeilen – erst recht durch den axiomatischen Aufbau des Gesamtwerkes – widerlegt wird, zeigt: Die Geschichte des Denkens verfälscht, wer bei der Erforschung des Mittelalters nach Vorläufern der Reformation späht.[ 88 ] Bradwardines Hauptwerk ist eine streng systematische Durchleuchtung der philosophischen Prämissen der christlichen Dogmatik. Es hat nicht die schulmäßige ‹scholastische› Form; es ist ein persönliches Werk, adressiert an die Interessierten im Merton-Kolleg. Seine rigorose Systematik überragt die der Summen des 13. Jahrhunderts bei weitem.
Gleichzeitig nimmt diese Philosophie des Christentums den ganzen Reichtum der kulturellen Überlieferung der Menschheit in sich auf. Daher die unendlich vielen Zitate und die Rolle des Hermes Trismegistus und der vierundzwanzig Philosophen. In persönlich gehaltenen Auseinandersetzungen zieht er die großen Autoren der Tradition, z.B. Aristoteles oder Averroes, in eine aktualisierende Diskussion. Historisches Material, z.B. aus der englischen Geschichte, taucht auf. Bradwardines Horizont ist nicht der eines Stubengelehrten, sondern der eines Akteurs der großen Politik, eines Mathematikers und eines Freundes der Poesie. Sein Werk verlangt, die bloß theologiegeschichtliche sowie die rein kosmologiegeschichtliche Betrachtung zu überwinden und die törichte Alternative hinter sich zu lassen, Bradwardine habe radikal mit der Tradition gebrochen oder nur die traditionelle Dogmatik repetiert. Charakteristisch für ihn: Selbst in seiner Siegespredigt nach der Schlacht von Crécy (1346), also vor Politikern und Militärs, konnte er es nicht lassen, Hermes als den «Vater der Philosophen» zu zitieren. Dessen Lehre von der Allursächlichkeit Gottes als Konvergenzpunkt von Philosophie und Theologie zu präsentieren, das war die Aufgabe. Und so entstand mit De causa Dei eines der originellsten Werke der mittelalterlichen Philosophie und Theologie.
Zugleich ist das Buch eine wahre Summe der philosophischen Tradition. Darin ist es vergleichbar Bertholds Kommentar zur Elementatio des Proklos, mit dem es einige Entstehungsbedingungen im Oxford dieser Jahrzehnte, wo Berthold 1315 studierte, teilt, von dem es sich unterscheidet durch Desinteresse an methodischer Scheidung von Philosophie und Theologie. De causa Dei steht heute noch in der Bibliothek des Nikolaus von Kues; er konnte darin – als Zitat der Definition XXIII – lesen: «Gott wird nur durch Nicht-Wissen geistig erkannt». Deus est qui sola ignorantia mente cognoscitur ( De causa Dei I 1, S. 32, 27E).
Bradwardine benutzte Das Buch der 24 Philosophen in seiner vollen Breite, nicht nur die berühmte Metapher von der unendlichen Kugel. Sein Konzept war ein methodisches. Gewiss als Apologetik eines weit aufgefassten Augustinismus, aber im Sinne einer axiomatischen Darlegung. Daher musste er den Satz V privilegieren. Seine Auslegung der Definition II war bedeutend
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