Was ist koscher - Jüdischer Glaube
in allen Lebensbe-reichen, die den Glauben tangierten und die nun, nach der Zerstörung, nicht mehr praktiziert werden konnten.
Die Mischnah war jedoch insgesamt noch viel mehr. Sie war nicht nur eine reine Protokollsammlung der Gelehrtendis-kussionen. Judah haNassi brachte auch da ein System hinein.
Eine DebaĴ e beginnt in seinem Text zunächst mit der Ansicht der Minderheit, und jeder AbschniĴ endet schließlich mit den Schlussfolgerungen, in denen die »Weisen aber erklären, dass
...« – so wird die Auslegung eines Gesetzes festgehalten. Der Vorteil dieser Form der NiederschriĞ : Die DebaĴ e ist nachvollziehbar, das Für und Wider einer Auslegung wird in allen Details sichtbar und somit eine Basis für weitere Diskussionen. Denn es war Judah klar, dass mit der NiederschriĞ
der Mischnah die Gesetzesauslegung nicht beendet war. Jede Zeit, vor allem aber auch jeder Ort, jedes neue Umfeld verlangten eine Adaption an andere Umstände. Die Darstellung der vollständigen DebaĴ en sollte zukünĞ igen Generationen als Grundlage und Hilfestellung dienen.
Midrasch: Auslegung der Thora
In jener Zeit beschäĞ igten sich die Gelehrten auch mit der genauen Auslegung der Thora. Die »Fünf Bücher Moses« wurden ja als das Wort GoĴ es begriff en, und so war es von vita-lem Interesse, dass dieses genau verstanden wurde, nachdem so viel Leid über das jüdische Volk hereingebrochen war. Erst indem man diesen Text genau studierte, war man überhaupt in der Lage, die Gesetze GoĴ es zu formulieren, denn nicht 101
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alle Gesetze sind eindeutig in der Thora formuliert, nicht alles, was GoĴ gesagt hat, ist so ohne weiteres zu verstehen.
Diese BeschäĞ igung mit der Auslegung heißt »Midrasch«
(hebr.: Forschung) und wurde ebenfalls schriĞ lich fi xiert.
Ein Beispiel: Wenn GoĴ sagt, man dürfe am Schabbat keine Arbeit verrichten – was heißt das dann? Was meint GoĴ mit
»Arbeit«? Die Antwort fi ndet sich im Text der »Fünf Bücher Moses« – doch man muss sie suchen. Tatsächlich haben die Rabbinen dann 39 Grundformen von Arbeit festgestellt, die verboten sind.
Damals entwickelten sich neben der Schule von Jochanan ben Sakkai, die nun Judah haNassi weiterführte, zahlreiche andere Akademien, Jeschiwot auf Hebräisch.
Überall im Lande entstanden sie – das Bedürfnis, die spirituelle ZukunĞ zu bewahren, war enorm groß.
Auch in Babylonien schlief man nicht. Die Ereignisse von Jerusalem waren bekannt. Die jüdische Gemeinde erfreute sich ja großer Freiheiten. Der persische König haĴ e dem Führer der Gemeinde den Titel eines Exilarchen (etwa: Haupt der Diaspora) verliehen. Dieses Amt wurde vererbt, seine Besitzer beriefen sich auf das Erbe des letzten judäischen Königs aus dem Hause Davids, König Jehojachin im 6. Jahrhundert v. d.
Z. Sie, die Exilarchen, seien unmiĴ elbare Nachkommen, behaupteten sie natürlich, um ihren Anspruch auf das Amt, auf die Macht, rechtfertigen zu können.
In den berühmten Jeschiwot von Sura und Pumbedita studierte man schon lange die Thora. Die Leiter dieser Schulen in Babylonien nannte man »Geonim«. Gaon (der Singular von Geonim) heißt auf Hebräisch »Hoher Gelehrter« oder auch
»Genie«. Übrigens, die anderen Gelehrten in Babylon wur-102
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den nicht Rabbi genannt, wie in Judäa, sondern »Raw«! Ein kleiner, feiner Unterschied, der in den Texten deutlich macht, woher die jeweilige Lehrmeinung stammt. Wenn es also heißt:
»Rabbi Schimon hat gesagt ...«, dann weiß man – der stammt aus Judäa. Wenn es jedoch heißt: »Raw Schimon hat gesagt
...«, dann muss es sich um einen Babylonier handeln.
Ende des 4. Jahrhunderts d.Z. war die Mischnah vollendet.
Alles zusätzliche Material, das noch existierte, wurde in der Gemara festgehalten, in der so genannten Vollendung, einem weiteren, sehr umfangreichen Text.
In Babylonien ging man genauso vor. Die Mischnah sowie die judäische Gemara wurden festgehalten in einem Werk, das beide Texte vereinte, im Jerusalemer Talmud, der manchmal auch Palästinensischer Talmud genannt wird. Der Babylonische Talmud war im 6. Jahrhundert d.Z. vollendet und ist mindestens viermal so lang wie der Jerusalemer. Der Babylonische Talmud ist das wichtigere der beiden Werke geworden, da er Entscheidungen richtungsweisenderer Persönlichkeiten enthält. Er dient bis heute, neben der Thora, als Basiswerk des jüdischen
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