Was ist koscher - Jüdischer Glaube
»starb«, um das Judentum zu reĴ en: Jochanan ben Sakkai, einer der größten Gelehrten seiner Zeit, ließ sich einen Trick einfallen, um aus der bren-nenden Stadt fl iehen zu können. Er ließ sich in einem Sarg von seinen Schülern aus Jerusalem heraustragen, damit sie ihn vor der Stadt »begraben«. Das war nämlich der einzige Weg, um an den römischen Checkpoints an der Stadtgrenze vorbeizukommen.
Die Römer ließen den Sarg mit den »trauernden« jungen Männern ohne weiteres passieren. In gehörigem Abstand, au-
ßerhalb der Sichtweite der römischen Truppen, öff neten die jungen Hebräer den Sarg, und ihr Lehrer und Meister sprang quicklebendig aus der Kiste. Ganz gewiss allerdings nicht quietschvergnügt über das Schnippchen, das er gerade den Okkupationstruppen geschlagen haĴ e. Dazu war der Anlass zu entsetzlich. Das Zentrum jüdischen Kults war zerstört, das Volk besiegt. Keiner wusste, wie es eigentlich weitergehen sollte, und es wäre nur allzu natürlich gewesen, wenn das jüdische Volk nun untergegangen wäre, wie alle anderen besiegten Völker der Antike schließlich auch.
Dass es nicht so kam, ist das Verdienst dieses schlauen Mannes, Jochanan ben Sakkai. Er nämlich ging ganz forsch zu den römischen Befehlshabern und fragte bescheiden an, ob er in Javneh, einem kleinen Städtchen an der Küste Judäas, das nun bald unter den Römern »Palästina« genannt werden 96
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sollte, eine Religionsakademie eröff nen dürfe. Man müsse ja schließlich von etwas leben, und er könne nichts anderes als Thora lehren. Ist o.k., sagten die Römer, du darfst. Sie wussten nicht, welchen Dienst sie mit ihrem Ja dem Erhalt des Judentums gerade erwiesen haĴ en.
Jochanan, ein Pharisäer, ging nun daran, die besten Gelehrten des Landes an seine Schule zu holen, um mit ihnen darüber zu beraten, wie man den Glauben an den Einen und Einzigen bewahren könne, jetzt, wo der Tempel nicht mehr stand, wo es nicht mehr möglich war, Tieropfer darzubringen, wo der Tempeldienst der Vergangenheit angehörte. Es galt also, das gesamte Regelsystem des Glaubens zu transformieren, um es in seinem Wesen zu erhalten. Ohne Tempel, Priester und Opfer und überall auf der Welt – denn so viel war klar: Das jüdische Volk, das ja zum Zeitpunkt des Angriff s der Römer auf Jerusalem bereits zwei geistige Zentren haĴ e – Judäa und Babylonien – würde nun noch weiter verstreut werden.
Die Anstrengung war für ein Menschenleben zu groß.
Jochanans Nachfolger, Gamaliel II., führte das Werk seines Meisters fort und setzte die oberste jüdische Legislative, den Sanhedrin, den jüdischen Gerichtshof, wieder ein, eine Versammlung von SchriĞ gelehrten, die miteinander debaĴ ierten und schließlich entschieden, wie ein göĴ liches Gesetz auszulegen und anzuwenden ist. Es wurde ziemlich viel debaĴ iert in der Akademie von Javneh. Die Thoragelehrten machten es sich wahrlich nicht leicht, sie wussten um ihre Verantwortung, aber auch um die Chance, die sie hier durch ein willkürliches Ja irgendeines unbedarĞ en Römers erhalten haĴ en.
Hier in Javneh wurde entschieden, welche Texte der jüdischen Geschichte zum allgemeinen Kanon der Heiligen SchriĞ ge-97
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hören sollten, hier wurde die Gebetsordnung anstelle der Tempelopfer entwickelt, die zum großen Teil bis heute gültig ist, und hier wurde das rabbinische Judentum etabliert, wie wir es bis heute kennen. Man entschied sich für eine Art Ausbildung, die jüdische Glaubensführer durchlaufen sollten, ehe sie ordiniert wurden. Wobei man hier anfügen muss, dass ein Rabbi heute eine etwas andere Funktion hat, als in jenen Zeiten. Ein Rabbiner ist ein Mann (im konservativen und liberalen Judentum inzwischen auch eine Frau), der das jüdische Gesetz studiert hat, eine Abschlussprüfung vor einem Rabbi-natskollegium ablegt und dann seine »Smicha« (Ordination) erhält. Mit dieser »Zulassung« wird ihm die Erlaubnis erteilt, zu lehren und zu urteilen (nach der Halacha). Meistens wird er dann von einer Gemeinde angestellt und erfüllt dort, gegen Lohn versteht sich, seinen Dienst. Hauptberufl ich. In den Zeiten von Javneh, aber auch noch bis ins MiĴ elalter, haĴ en die Rabbiner einen ganz normalen Beruf, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienten, und arbeiteten »nebenher« als spirituelle Führer. Viele berühmte Rabbiner waren einfache Handwerker: Schuster oder
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