Was ist koscher - Jüdischer Glaube
heĞ igst darauf erpicht waren, wie Nichtjuden auszusehen.
Übrigens ist heute die FeindschaĞ zwischen Mitnagdim und Chassidim größtenteils überwunden, da sie jetzt einen gemeinsamen Feind haben: die säkularen, zionistischen oder reformistischen Juden. Ein neuer gemeinsamer Feind verbündet alte Opponenten schnell.
Assimilation – Reformjudentum
Zu dem Zeitpunkt, als sich in Osteuropa Mitnagdim und Chassidim noch befeindeten, kam es zu den großen sozialen Veränderungen im Westen Europas, die schließlich in der Emanzipation ihren krönenden Abschluss fanden.
Im Heiligen Römischen Reich erließ Kaiser Joseph II. ein Toleranzedikt. Juden waren ab sofort nicht mehr an einen Ort gebunden, mussten nicht mehr nur in ihre eigenen Schulen gehen und waren auch nicht mehr gezwungen, irgendeine 131
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»spezielle« Kleidung zu tragen. Sie mussten jedoch deutsche Nachnamen annehmen, und in jeder Familie durĞ e nur ein Sohn heiraten. Zur gleichen Zeit verlieh die französische Na-tionalversammlung der jüdischen Bevölkerung die vollen staatsbürgerlichen Rechte und garantierte vollständige Religionsfreiheit. Man schrieb das Jahr 1791. Napoleon L, kein Geringerer, ging 1806 noch einen SchriĴ weiter, indem er den Sanhedrin wiederzubeleben versuchte. Er haĴ e die wichtigsten jüdischen Standespersonen dazu eingeladen. Von diesem Augenblick an konnten sich Juden in Frankreich selbst verwalten und waren ein Teil der zivilen Verwaltung.
Trotz eines wachsenden Antisemitismus nahmen die Freiheiten der Juden in Westeuropa zu. Viele Intellektuelle setzten sich für ihre Rechte ein, in Deutschland war das vor allem GoĴ hold Ephraim Lessing, der mit dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn eng befreundet war. 1869 erhielten die Juden in Norddeutschland die vollen emanzipatorischen Freiheiten, und 1871 wurden in Deutschland offi ziell die letzten antij üdischen Gesetzgebungen gestrichen. Juden durĞ en studieren, höhere Beamte konnten sie jedoch nicht werden. In England sah es ähnlich aus. 1858 saß zum ersten Mal ein Jude als Abgeordneter im englischen Parlament.
Gleichzeitig mit diesen äußeren Veränderungen vollzog sich im Inneren des westeuropäischen Judentums ein religiö-
ser Wandel. Der Einfl uss der AuĤ lärung und ihrer Denker auf jüdische Intellektuelle ist unbestreitbar. Der bereits erwähnte Moses Mendelssohn (1720-1781) ist der wichtigste Wegberei-ter dieser geistigen Veränderung des Westjudentums. Kern seines Denkgebäudes ist die Idee, dass die Existenz GoĴ es und seine Unsterblichkeit allein durch die VernunĞ erkannt werden könne. Die Aufgabe des Judentums sei es, die Welt 132
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an die Einzigartigkeit GoĴ es zu erinnern, an den ethischen Monotheismus.
Mendelssohn verlangte, dass der Staat sich nicht in religiöse Angelegenheiten einmische. Er übersetzte die Bücher Moses‘ ins Deutsche und schrieb Bibelkommentare. Er wurde zur geistigen Brücke zwischen dem deutschen Judentum und der säkularen, aufgeklärten Welt.
Mendelssohn, in der heutigen Terminologie noch ein orthodoxer Jude, entwickelte jedoch mit seinen auĤ lärerischen Gedanken und dem Versuch, das Judentum in die Moderne zu führen, gewissermaßen das neuzeitliche Dilemma, das Juden bis heute beschäĞ igt und prägt: die Frage, inwiefern die Annäherung an die säkulare Kultur zugleich die Aufgabe der eigenen jüdischen Identität bedeutet und somit der Assimilation Vorschub leistet.
In gewisser Hinsicht entstand aus dieser Ambivalenz eine Fülle von jüdischer Literatur, die allerdings nicht mehr »religiöse« Literatur genannt werden kann. In diesen Texten, teilweise Essays, teilweise philosophische Abhandlungen, teilweise Romane, setzen sich Juden immer wieder mit der Frage auseinander, was es denn nun heißt, ein Jude zu sein in dieser Welt, vor allem, wenn man nicht mehr nach dem Religionsgesetz lebt. Diese Ambivalenz hat uns Juden ganz schön neurotisch werden lassen! Kein Wunder, dass ausgerechnet ein Jude der Erfi nder der Psychoanalyse wurde. Ambivalenz und Neurose – zwei jüdische EigenschaĞ en, die Grundvor-aussetzung jeglichen psychischen Defekts sind.
Doch zurück zur AuĤ lärung. Die Juden Westeuropas konnten endlich das GeĴ o verlassen, und nichts war ihnen wichtiger, als sich ihrer Umwelt anzupassen und Teil der Gesell-133
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schaĞ zu werden.
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