Was ist koscher - Jüdischer Glaube
gehörte, war es doch selbstverständlich, sich stets innerhalb der Halacha zu bewegen. Der große Philosoph Jeschajahu Leibowitz sagte Ende der 1980er-Jahre, dass die Emanzipation im Grunde zwei jü-
dische Völker geschaff en habe: eines innerhalb der Halacha und eines außerhalb – dazu zählte er auch die säkularen und zionistischen Juden. Im Grunde genommen hat Leibowitz Recht, selbst wenn vor allem der Holocaust dazu führte, dass sich Juden mehr denn je als eine Einheit, zumindest als eine SchicksalsgemeinschaĞ verstehen. Doch wer den Blick auf Israel wirĞ , wird sehen, mit wie viel Abneigung und Unverständnis orthodoxe und säkulare Israelis sich gegenüberste-hen. Sie haben sich so sehr voneinander entfremdet, dass sie in Parallelwelten leben, die nur noch durch die gemeinsame Bedrohung von außen zusammengehalten werden.
Nun ist es nicht so, dass es im 19. Jahrhundert in Osteuropa nur orthodoxe Juden, in Westeuropa nur Reformjuden gege-136
PюѢљ Sѝіђєђљ
WюѠ іѠѡ јќѠѐѕђџӓ
ben häĴ e. Auch Westeuropa haĴ e natürlich ein orthodoxes Judentum, das aber, anders als im Osten, ebenfalls die Vorzüge der AuĤ lärung und Emanzipation genoss. Nur, was machten die Juden damit? Es war klar, dass der neue soziale Status, ebenso wie die religiöse Herausforderung, die das Reformjudentum bedeutete, einer Antwort bedurĞ e. Diese kam, natürlich, auch aus Deutschland. Aus Frankfurt am Main.
Dort lebte der bekannteste orthodoxe jüdische Denker seiner Zeit, Samson Raphael Hirsch, der in seiner eigenen Biografi e bereits die Antwort auf die Herausforderungen der Zeit gab.
Orthodoxer Rabbiner und Absolvent der Universität Bonn zugleich, fand er eine einfache Lösung: Man könne orthodoxer Jude sein und gleichzeitig an der modernen Bildung teilhaben und somit ein Teil der GesellschaĞ werden. Zwar beharrte er auf der orthodoxen Feststellung, die Thora sei das Wort GoĴ es, und darauf, dass der Sinn des Lebens nicht eine
»pursuit of happiness« sei, wie es die amerikanische Verfassung festschreibt und wie viele Reformjuden es auch sahen und deswegen – in seinen Augen – ihre Religion ihren Be-dürfnissen anpassten und nicht umgekehrt. Für Hirsch galt weiterhin: Der Sinn des Lebens ist es, GoĴ zu dienen. Doch darüberhinaus konnte und wollte er sich nicht den gesellschaĞ lichen Umwälzungen seiner Zeit verschließen. Samson Raphael Hirschs neue Form der jüdischen Orthodoxie hat einen Namen: »Modern Orthodox«, und es ist bezeichnend, dass dieser Begriff englisch und nicht deutsch ist. Denn die
»moderne Orthodoxie« fand im Laufe der Jahre ihre eigentliche Heimat, wie das Reformjudentum, in den USA, wo sie bis heute in verschiedenen Abwandlungen und Weiterentwick-lungen existiert.
Ihre berühmteste Schule: Die Yeshiva University in New York. Diese Institution beinhaltet bereits in ihrem Namen das 137
PюѢљ Sѝіђєђљ
WюѠ іѠѡ јќѠѐѕђџӓ
Programm der »modern orthodox«-Bewegung: Sie ist Jeschi-wa, also Talmudschule alter Tradition, ebenso wie Universität. Religiöse und wissenschaĞ liche Studien werden vereinigt. Aus dieser Universität sind zahlreiche namhaĞ e Ärzte, Juristen und andere WissenschaĞ ler hervorgegangen, die gleichzeitig orthodoxe Juden mit einer fundierten religiösen Bildung sind.
Die Lösung, die Samson Raphael Hirsch im 19. Jahrhundert für das orthodoxe Judentum Westeuropas fand, funkti-onierte in Osteuropa nicht. Die AuĤ lärung kam in Polen, im Baltikum oder in Russland nur langsam in Gang, die jüdische Bevölkerung fand nicht so ohne weiteres den Zugang zur christlichen GesellschaĞ . Diejenigen aber, die mit den Traditionen der Väter nichts mehr anfangen konnten, fanden andere Wege heraus aus dem GeĴ o. Viele von ihnen wurden Sozialis-ten und vereinigten sich im »Bund«, der sozialistischen jüdischen Arbeiterbewegung, deren Sprache das Jiddische blieb, die aber ansonsten mit der Kultur des Chassidismus oder der Mitnagdim nichts mehr zu tun haĴ e. Der Weg hin zum Sozialismus war nicht nur das Ergebnis einer nur mühsam sich durchsetzenden AuĤ lärung in Osteuropa, sondern vielmehr eine Reaktion auf den radikalen Antisemitismus, der sich in dieser Region auch gewaltsam seinen Weg bahnte.
Antij udaismus, Antisemitismus – Zionismus Es war schon ein wenig verrückt im 19. Jahrhundert. Da gehen die fortschriĴ lichsten Staaten einen Weg der VernunĞ , der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Sie holen die Juden aus dem GeĴ o,
Weitere Kostenlose Bücher