Was ist koscher - Jüdischer Glaube
Zij ons wir gedachten!
An Weidenbäume dort
Hängten wir unsere Zithern.
Denn dort verlangten unsre Zwingherrn von uns Sangesworte
Und unsre Dränger Freudenspiel:
›So singet uns von Zij ons Sang!‹
Wie sängen wir des Ewgen Sang
Auf Fremdlands Erde?
Vergäß ich dein, Jeruschalaim
Versagte meine Rechte
Es klebte meine Zunge mir am Gaumen
Wenn dein ich nicht gedächte
Hielt ich Jeruschalaim mir nicht vor
Oban bei meinem Freudenspiel.«
Selbst in Momenten größter Freude wird des Unglücks gedacht, dass wir nicht mehr in unserem Land leben und kein Heiligtum mehr haben. (Ersteres hat sich durch den Staat Israel inzwischen erledigt, doch Letzteres wird wohl noch ein gutes Weilchen dauern. Außerdem ist die politische Situation in Israel keineswegs ein Grund zum Jubeln!) Am Ende der Trauungszeremonie, wenn zum Beispiel der Bräutigam das Glas mit seinem Fuß zertriĴ . Die Scherben sollen ja an den zerstörten Tempel von Jerusalem erinnern, also daran, dass 177
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wir noch nicht wirklich wieder aus dem »Exil« befreit worden sind. Denn, so behaupten manche ultra-orthodoxen Denker, auch das heutige Israel, ein säkularer Staat, ist ja noch nicht das Israel, in das wir einst, nach der AnkunĞ des Messias, zurückkehren werden. Es ist nur eine Art Übergangsstadium.
Immerhin wenigstens das, nachdem 2000 Jahre vergangen sind, ohne einen eigenen Staat zu haben.
Doch es ist noch nicht die letzte Stufe der Erlösung, auf die wir warten. Die kommt – nicht nur für das jüdische Volk, sondern auch für die ganze Welt – erst mit der AnkunĞ des Messias in Jerusalem. Die Erlösung der Welt wird sich also ebenfalls im Lande Israel vollziehen.
Die Sehnsucht nach Zion und die Überzeugung, dass nur dort sich GoĴ es Versprechen bis zum Letzten erfüllen werden, hat im Laufe der jüdischen Geschichte bei manchen sogar die Vorstellung des so genannten Gilgul entstehen lassen.
Was ist Gilgul? Viele Juden lassen sich nach ihrem Tod nach Israel überführen, um dort begraben zu werden. Warum? Mein Amtsvorgänger, Ignatz Bubis, hat dies getan mit dem Hinweis darauf, dass er die Vorstellung, sein Grab könn-te in Deutschland zum Ziel antisemitischer Angriff e werden, nicht ertrage. Das ist ein pragmatischer, aktueller Grund, der seine Berechtigung hat, wenn man sich klar macht, dass jü-
dische Friedhöfe seit Jahrhunderten immer wieder Ziel antisemitischer Angriff e wurden. Doch es gibt noch einen religiösen Grund für die Überführung. Am Tag der AnkunĞ des Messias werden zuerst im Heiligen Land alle Toten wieder auferstehen, heißt es. Aus diesem Grund dürfen im Judentum Gräber ja auch nicht aufgelassen werden. Jüdische Gräber sind auf ewig angelegt, bis zum »Ende der Geschichte«!
Wenn jedoch ein Jude in Deutschland oder sonst wo begraben ist, dann muss er – so der volkstümliche Glaube – bei 178
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der AnkunĞ des Messias, sozusagen mit seinen noch übrig gebliebenen Knochen unterirdisch bis nach Israel »rollen«, um dann dort endlich auferstehen zu können. Das unter-irdische Rollen der Knochen vom Grab bis nach Jerusalem wird Gilgul (ein sehr lautmalerisches Wort: es soll den Klang der klappernden Knochen wiedergeben) genannt. Für viele Juden eine schreckliche Vorstellung. Darum wollen sie sich lieber gleich in Israel begraben lassen. Sie ersparen sich das unangenehme Gerolle und sind obendrein sofort dabei, wenn der Messias sich endlich blicken lässt!
Diese Sehnsucht nach einer Rückkehr in das dann göĴ liche Israel ist auch gemeint, wenn Juden die höchsten Feiertage Jom Kippur und den Sederabend zu Pessach mit dem Satz beschließen: »Nächstes Jahr in Jerusalem!« Der berühmte israelische Dichter Jehudah Amichai hat dieses Gebet einmal ganz trocken-zionistisch verspoĴ et: Wer so ‚ne Sehnsucht nach Jerusalem habe, solle sich doch einfach ein Ticket bei El Al kaufen, und schwupps, sei er schon da! Doch er wusste als ehemals frommer Jude natürlich genau, was dieser Satz eigentlich meint.
Ist es verwunderlich, dass für Juden auf aller Welt die Existenz des Staates Israel so unglaublich wichtig ist? Selbst wenn sie nicht dort leben wollen oder können – in irgendeiner Form sind sie mit Israel verbunden. Zweitausend Jahre Gebete, Gedichte, Literatur, Philosophie beschäĞ igen sich mit Zion. Und dann das erste Wunder: 1948 erhält das jüdische Volk wieder einen eigenen Staat.
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