Was ist koscher - Jüdischer Glaube
aus früheren Zeiten die religiöse Handlung ersetzt, das heißt, dass sie zugleich auch die spirituelle KraĞ
der religiösen Handlung von einst übernimmt.
Gerschom Scholem, der große deutsch-jüdische Gelehrte, der sich in seiner Arbeit ganz der Erforschung der jüdischen Mystik, der Kabbala, widmete, beschreibt die KraĞ der Erzählung anhand eines Beispiels aus dem ostjüdischen Chassidismus des 18./19. Jahrhunderts:
»Wenn der Baal-Schem [der Gründer der osteuropäischen mystischen Bewegung, die man Chassidismus nennt] etwas Schwieriges zu erledigen haĴ e, irgendein geheimes Werk zum Nutzen der Geschöpfe, so ging er an eine bestimmte Stelle im Walde, zündete ein Feuer an und sprach, in mystische Meditationen versunken, Gebete – und alles geschah, wie er es sich vorgenommen haĴ e. Wenn eine Generation später der Maggid von Mesritsch dasselbe zu tun 241
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haĴ e, ging er an jene Stelle im Walde und sagte: ›Das Feuer können wir nicht mehr machen, aber die Gebete können wir sprechen‹ – und alles ging nach seinem Willen. Wieder eine Generation später sollte Rabbi Mosche Leib aus Sas-sow jene Tat vollbringen. Auch er ging in den Wald und sagte: ›Wir können kein Feuer mehr anzünden, und wir kennen auch die geheimen Meditationen nicht mehr, die das Gebet beleben; aber wir kennen den Ort im Walde, wo all das hingehört, und das muss genügen.‹ – Und es ge-nügte. Als aber wieder eine Generation später Rabbi Israel von Rischin jene Tat zu vollziehen haĴ e, da setzte er sich in seinem Schloss auf seinen goldenen Stuhl und sagte:
›Wir können kein Feuer machen, wir können keine Gebete sprechen, wir kennen auch den Ort nicht mehr, aber wir können die Geschichte davon erzählen.‹ Und seine Erzählung allein haĴ e dieselbe Wirkung wie die Taten der drei anderen.«
So ist also auch die »Wirkung« des Mussafgebetes an Jom Kippur zu verstehen, das davon erzählt, wie der Hohepriester im Tempel in großer innerer Konzentration, Andacht und Ehrfurcht die Sühneopfer vor dem gesamten Volk für das gesamte Volk vollbrachte.
Wie »erfolgreich« die Zehn Tage der Umkehr für jeden Einzelnen sind, das wird das neue Jahr erweisen. Mit dem letzten Ton des Schofars am Ende des Versöhnungstages sind die Tore des himmlischen Gerichtes geschlossen. Jetzt beginnt man sich bereits auf ein neues Fest vorzubereiten, das nur vier Tage später beginnt, Sukkot, das LaubhüĴ enfest. Im Gegensatz zu den letzten zehn Tagen ist Sukkot ein wunderbares Freudenfest!
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Warum sitzen Juden bei strömendem
Regen in HüĴ en?
»Jedoch am fünfzehnten Tag des siebenten Monats, wenn ihr den Ertrag des Landes einbringt, sollt ihr das Fest des Ewigen feiern, sieben Tage lange; am ersten Tag ist Ruhefeier, und am achten Tag ist Ruhefeier. Und nehmt euch am ersten Tag: Prächtige Baumfrucht, Palmenzweige und Zweige von dichtbelaubten Bäumen und Bachweiden, und freut euch vor dem Ewigen, eurem GoĴ , sieben Tage. Und feiert es als Fest dem Ewigen sieben Tage im Jahr; eine ewige Satzung für eure Geschlechter; im siebenten Monat sollt ihr es feiern. In den Hütten sollt ihr wohnen sieben Tage lang; jeder Volksgeborene in Jisrael soll in den HüĴ en wohnen, damit eure künĞ igen Geschlechter wissen, dass ich in den HüĴ en weilen ließ die Kinder Jisrael, als ich sie aus dem Land Mizraim führte; ich bin der Ewige, euer GoĴ .« (Lev. 39-43)
Sukkot
Es gibt kaum einen Feiertag, dessen Bedeutung sich im Laufe der Jahrtausende so sehr gewandelt hat wie Sukkot. An Sukkot wird besonders deutlich, wie sich das Judentum immer wieder den aktuellen Gegebenheiten der jeweiligen Zeit angepasst hat und wie die spirituelle Bedeutung des Feiertags immer neue Formen annahm, natürlich basierend auf den Erklärungen der Thora. Doch ehe ich versuche, diese höchst komplexen Entwicklungen einigermaßen nachvollziehbar darzustellen, will ich die Eingangsfrage beantworten: Nein, wir Juden sind nicht kompleĴ meschugge. Wir fi nden das gar nicht lustig, bei strömendem Regen in einer HüĴ e 243
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zu hocken, deren Dach obendrein nur aus Baumzweigen bestehen darf. Aber die Rituale unseres Glaubens wurden nun einmal in einer Gegend entwickelt, die 3000 km von Deutschland entfernt in einer völlig anderen Klimazone liegt. Ende September, Anfang Oktober in Israel in einer HüĴ e
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