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Was ist mit unseren Jungs los

Was ist mit unseren Jungs los

Titel: Was ist mit unseren Jungs los Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Guggenbuehl
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lassen kann, wie ihm beliebt. Doch weil viele Jugendliche auf der Selbstsuche sind, dürfen Strafen nicht die einzige Antwort auf Gewalttaten sein. Gewalttäter einsperren kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit notwendig sein; nicht bei jedem Jugendlichen machen Gefängnisaufenthalte jedoch Sinn. Die Gefahr besteht, dass sie die Strafe zwar absitzen, dochihre Haltung nicht ändern. Die Strafe erledigen sie im Rahmen eines oberflächlichen Anpassungsaktes. Die Strafe löst keine Verhaltens- oder Einsichtsänderung aus. Damit sie sich von der Gewaltszene distanzieren und ihr Fehlverhalten reflektieren, müssen sie sich mit sich selber auseinandersetzen und wirklich zur Einsicht kommen, dass dies kein Weg ist, sich im privaten Leben durchzusetzen.
Integration gewalttätiger Ausländer
    Es war schwierig, mit dem vierzehnjährigen Jungen Kontakt aufzunehmen. Er war nicht sehr gesprächig. Auf meine Fragen antwortete er einsilbig und meinem Blickkontakt wich er aus. Er wurde zu mir geschickt, weil er in der Schule aggressive Ausbrüche hatte. In der dritten Stunde deutete er schließlich an, dass er gerne zeichne. Ich bat ihn, mir doch ein oder zwei seiner Zeichnungen zu zeigen. In der nächsten Stunde erschien er tatsächlich mit einem großen Couvert, in dem er eigene Zeichnungen aufbewahrt hatte. Ich durfte sie mir ansehen und war erstaunt über seine Szenen: Es handelte sich um Schlachtenbilder der alten Eidgenossen. In einem Bild stellte er die Innerschweizer dar, wie sie die habsburgischen Ritter bei der Schlacht am Morgarten in den Ägerisee drängten. »Die waren schön erstaunt!«, fügte er stolz hinzu. In seiner Freizeit fantasierte er über die Taten der alten Eidgenossen. Er stellte sich die Schwertkämpfe der Ritter vor und malte Innerschweizer mit ihren Hellebarden. Das Erstaunliche bei diesem Jungen war: Er stammte aus Jamaika, war schwarz und lebte erst seit sechs Jahren in der Schweiz.
    Jugendgewalt wird oft als Ausländerproblem aufgefasst. Da ausländische Jugendliche häufiger in den Kriminalstatistiken auftauchen, wird es als Integrationsproblem verstanden. Die Forderung wird laut, dass man sie hart anfassen soll,wenn sie gewalttätig werden. Vorstellungen von hyperaggressiven Albanern oder unangepassten Afrikanern tauchen auf. Sind Ausländer gewalttätiger?
    Wie an anderer Stelle erwähnt, zeichnen sich Kulturen durch je eigene Wertvorstellungen und Codes aus. Diese sind in jenem Territorium gültig, auf das sich die jeweilige Kultur oder Nation stützt. Die meisten Kulturen verfügen über einen Lebensraum, für den sie verantwortlich sind. Wie man miteinander umgeht, welche Verhaltenscodes den Umgang regeln, welche Einstellung man zum Staat hat und wie die Geschlechter ihren Kontakt gestalten, wird durch das jeweilige Kollektiv festgelegt.
    Jugendliche, die aus fremden Kulturen einwandern, tasten den Außenraum nach relevanten Symbolen und Geschichten ab. Während der Privatraum immer noch durch die heimische Kultur geprägt wird, sind die öffentlichen Räume und der Staat fremd. Man will darum erfahren, was eigentlich die Schweiz, Deutschland oder Österreich ausmacht. Stehen diese Menschen überhaupt für etwas ein? Welche Geschichten gibt es? Für viele ausländische Jugendliche ist die Kultur ihres Gastlandes nicht präsent. Zuhause laufen Fernsehkanäle aus Anatolien oder Mazedonien, man begeht die Familienfeste nach srilankesischen Sitten und liest Zeitungen aus dem Maghreb. Das Land, aus dem sie stammen, ist weit entfernt, und vertiefte Kontakte zum Gastland gibt es selten. Von offiziellen Stellen werden sie oft in einer Sprache angesprochen, die die Bewohner des Landes ungern gebrauchen und nur einsetzen, um sich abzugrenzen. Viele haben den Eindruck, dass die heimischen Bürger sich verstecken, ihre Haltungen und Werte nicht zeigen und sie in einem Ghetto leben. Durch die Isolation und mangelnde Auseinandersetzung mit der heimischen Kultur kann es zu Extremreaktionen kommen: »Muslime werden euch unterwandern und schlussendlich auch beherrschen!«, ist der sechzehnjährige Kosovare überzeugt. SeineKindheit hat er in Bern verbracht und spricht einen breiten bernerdeutschen Dialekt.
    Kulturen definieren auch die Handhabung der Aggression. Was als Beleidigung gilt, wann man sich wehren darf oder wie man als Mann im öffentlichen Raum auftritt, wird oft durch die Codes der Gesellschaft definiert, der man angehört. »Ich musste mich doch wehren, er hat meine Familie beleidigt!«,

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