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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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nein, alles in Ordnung. Aber … na ja, ich fänd einen Ausblick nach hinten schön, direkt auf den Weinhügel. Also nur, falls das keine Umstände macht.«
    Â»Die Wohnungen oben sind aber noch nicht neu eingerichtet.«
    Â»Ach, das macht nichts.«
    Â»Und sie haben beide nur einen kleinen Balkon statt der großen Terrasse.«
    Â»Egal.«
    Â»Okay, ich kann meine Mutter mal fragen.«
    Â»Das wäre nett.«
    Â 
    Ich weiß nicht, was Frau Arend von meinem hastigen Umzug hält, aber es klappt. Die andere Wohnung liegt im ersten
Stock. Sie ist einfach und funktional eingerichtet, was verglichen mit dem unteren Zimmer einen großen Fortschritt darstellt.
    Sandfarbener Teppichboden, Raufasertapete, weiße Kacheln im Bad. Ich verstehe zwar nicht, wie man unter solch flachen Zimmerdecken wohnen kann, ohne mittelfristig Platzangst zu bekommen, aber dafür haben die Wände eine leichte Schräge. Schrägen habe ich schon immer gemocht. Das Ferienhaus im Erzgebirge, wo wir im Winter oft waren, hatte oben im Kinderzimmer auch welche.
    Im Flur hängt ein Kalender der Sparkasse Mittelmosel. Jeder Monat wird von einer zur Jahreszeit passenden Fotografie der Mosel illustriert. Im Schlaf- und Wohnzimmer gibt es noch drei weitere Bilder, auch alle mit Mosel-Motiven. An der Wand neben dem Bett hängt ein schwarzes Telefon. Auf der Kommode darunter liegt das Telefonbuch, auf dessen Umschlag sich Anzeigen für acht verschiedene Unternehmen befinden, davon zwei Pflegedienste und drei Bestatter. Bestimmt ganz praktisch, wenn man mal spontan einen Pflegedienst oder Bestatter braucht, aber keine Zeit hat, lange nach der Nummer zu suchen.
    Der Fernseher auf dem rollbaren Beistelltisch hat ungefähr Langspielplattengröße. Die Möbel sind aus hellem Holz, billig und schmucklos, die Stehlampen hässlich.
    Nur das Sofa sticht deutlich heraus. Der Designer muss gerade auf Pappen gewesen sein, als er dieses Möbelstück entwarf, und zwar in der üblen Phase: ein kotzgrünes Blumenmuster, dicke goldene Kordeln, und an den Armlehnen links und rechts ist jeweils ein Löwenkopf aus Messing eingelassen. Die Löwen haben einen Ring im Maul, wie ein Türklopfer. Was macht ein Türklopfer an einem Sofa?

    Völlig sinnlos. Vielleicht gefällt es mir genau deswegen so gut. Wie die Drachenköpfe im Treppenhaus unserer Wohnung in der Bötzowstraße, die waren unten ins Geländer geschnitzt, das Silvia und ich immer runtergerutscht sind. Die habe ich wirklich geliebt, die Drachen. Die Wohnung selbst war ziemlich runtergerockt. Dusche in der Küche, Mäuse unter den Holzdielen und ein Balkon, den man wegen Einsturzgefahr nicht betreten durfte. Ich glaube, meine Mutter hat damals einfach die erstbeste Wohnung genommen.
    Von Bekannten wurde ich immer ganz mitleidig angeguckt, wegen der Wohnung und wegen der Trennung an sich. Dabei ist eine Scheidung ja nicht gerade ungewöhnlich, ich kenne jedenfalls kaum Leute, deren Eltern noch zusammen sind. Aber es war wohl relativ ungewöhnlich, dass der Mann im Haus bleibt und die Frau sich mit den Kindern was Neues suchen muss. Passt aber absolut zu meinem Vater. Bloß nie nachgeben. Immer Recht behalten.
    Ich fand es gar nicht schlimm, wegzuziehen. Die Straßen von Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain waren für mich als Zwölfjährigen viel cooler als die ausgetretenen Pfade von Treptow und Plänterwald. Außerdem hatte ich ständig sturmfrei, weil meine Mutter immer arbeiten musste und Silvia ständig mit ihren Freunden unterwegs war. Es gab dreimal die Woche Pizza, und endlich war dieses bedrückende Etwas weg, das mein Vater sein sollte, dieser unheimliche Geist, dessen grauer Schatten wie ein Gewicht auf allem lag.
    Wir waren nur zwei Jahre in der Wohnung, dann sind wir ein paar Straßen weitergezogen. Vor ein paar Jahren war ich mal auf einer Party in der Bötzowstraße. Das Haus ist mittlerweile saniert, alles tipptopp. Aber manches ist geblieben.
Das Treppenhaus zum Beispiel. Die Drachenköpfe sind immer noch da.
    Â 
    Ich öffne meine Tasche und verstaue meine Klamotten in dem wackligen Kleiderschrank, meinen Kulturbeutel im Bad und setze mich mit einer Zigarette auf den Balkon. Von hier aus blickt man direkt auf den steil ansteigenden Hügel mit den Weinreben, die im rot flimmernden Licht der gerade auf der anderen Seite untergehenden Sonne liegen. Da ich keinen

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