Was Liebe ist
stehen in der Mitte der erotischen Wippe.«
»Entschuldigung, aber nicht ich habe ein Problem, sondern Sie. Mir hat Zoe keine Tasche vor die Füße geknallt. So weit ist unsere Symbiose gestern Abend nicht gegangen.« Piet wiegt den Kopf hin und her. »Ja ja, die Tasche … Und da haben Sie gedacht, Sie kommen gerade im richtigen Moment, um Zoe eine Schulter zum Ausweinen zu bieten.«
»Ausgeweint hat sie sich eigentlich nicht, das war offenbar nicht nötig. Aber sie hat mir erzählt, was los war.«
Piet zieht die Augenbrauen hoch, die melierten Härchen spreizen sich ein wenig.
»Ach ja? Was hat sie Ihnen denn erzählt? Es ist mit Sicherheit gelogen. Zoe ist eine ausgezeichnete Lügnerin.«
Allmählich beginnt er, sich über Piet zu ärgern. Für Momente hat er gedacht, er könnte ihn vielleicht sogar mögen, diesen älteren Herrn mit seinem subtilen Charme, mit dieser Mischung aus Nonchalance und intellektueller Gemütlichkeit. Aber wie er sich gegenüber Zoe zum allwissenden Übervater aufschwingt, ist unsympathisch.
»Was Zoe mir erzählt hat, bestätigt das, was ich gesehen habe. Das genügt mir.«
Piet schüttelt bedächtig den Kopf. »Was haben Sie denn gesehen? Dass ich Zoe geküsst habe. Aber wissen Sie auchwarum? Ich sage es Ihnen: Weil sie es wollte! Sie hat mich dazu aufgefordert. Sie hat gesagt: Küss mich. Jetzt! «
»Interessant. Und warum das?«
»Sie hat Sie draußen gesehen.«
»Logisch! Und warum hat sie Ihnen die Tasche vor die Füße geknallt?«
»Dafür gab es einen anderen Grund.«
»Jetzt bin ich aber gespannt.«
Was kann ein Mann nach einem Kuss zu einer Frau sagen, dass sie ihm die Handtasche vor die Füße wirft? Das brauchtest du . Was sonst noch?
»Zoe hatte geraucht – das ist ein ständiger Streitpunkt zwischen uns. Die Behauptung, dass Rauchen eine Stimme hauchig und sexy macht, ist ein Gerücht. Rauchen ruiniert eine Gesangsstimme – und fertig. Nach dem Kuss konnte ich mir deswegen die Bemerkung, dass sie geraucht hatte, nicht verkneifen. Da ist sie explodiert. ›Du kontrollierst mich noch beim Küssen!‹ oder so etwas hat sie gesagt. Den Rest kennen Sie.«
Das brauchtest du , oder: Du hast geraucht! – Er muss zugeben, dass beide Versionen zu dem passen, was er gesehen hat.
»Sonst noch etwas?«
Piet sagt: »Sie sind nicht der Erste, mit dem Zoe eine Affäre hat, seit ich mit ihr zusammen bin. Ich weiß, wovon ich rede. Alles, was Sie bekommen werden, ist die kurze Illusion einer frischen unverbrauchten Leidenschaft. Der Reiz des Neuen, aber was heißt das schon? Liebe ohne Grundlage, nervöser unsicherer Sex, das zweifelhafte Vergnügen des Morgens danach …«
Er könnte und sollte endlich sagen: Was auch immer Sie vermuten, es entbehrt jeder Grundlage. Zwischen Zoe und mir war nichts. Aber das will er nicht sagen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Piet annimmt, dass er mit Zoe geschlafen hat, gefällt ihm auf eine bestimmte Weise.
»Sie sollten jetzt gehen. Dass Sie hier sind, macht die Dinge nur komplizierter.«
Piet trinkt seinen Espresso aus. »Eins müssen Sie wissen: Zoe wird immer zu mir zurückkehren. Sie können nicht verstehen, warum, weil Sie sie nicht kennen. Aber es ist so. Sie wecken in ihr eine Illusion von Freiheit, die sie zerstören wird. Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt. Ich bin der Einzige, der ihr die Stabilität geben kann, die sie braucht. Und das weiß sie. Sie weiß, dass ich der Einzige bin, zu dem sie immer wieder zurückkehren kann.«
Er sieht jetzt sehr deutlich, wie Piet und Zoe zueinander stehen, er sieht das Fundament ihrer Beziehung.
»Für mich heißt das nichts anderes, als dass Sie mit sechzig bereit sind, einen höheren Preis dafür zu zahlen, dass Zoe bei Ihnen bleibt, als Sie es in meinem Alter gewesen wären.«
Piet steht auf. »Hören Sie auf mich. Zoe fürchtet sich vor der Macht, die Sie über sie haben. Ich sollte sie vor Ihren Augen küssen, damit Sie gehen. Aber Sie sind nicht gegangen. Tun Sie es jetzt. Bevor es zu spät ist.«
Piet verlässt den Frühstücksraum. Ein in die Jahre gekommener Mann, der das Leben und die Frauen liebt. Ein Musiker – Professor für Komposition. Unter anderen Umständen hätten sie sich vielleicht mögen können.Dem Protokoll einer Aufsichtsratssitzung zufolge, das er bei seiner Zwangsarbeiter-Recherche im Firmenarchiv gefunden hat, richtete die Ziegler-Elektro-AG im Dezember 1940 eine erste sogenannte Judenabteilung ein. Dazu gehörte die Schaffung von
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