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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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separaten Eingängen, einer eigenen Kantine und getrennten Toiletten. Für die eingespielten Arbeitsabläufe war das in vielen Fällen störend und erforderte eine Menge organisatorischer Improvisation, die in zahlreichen archivierten Dokumenten ihren schriftlichen Niederschlag gefunden hat.
    Um die Trennung von jüdischen und nicht-jüdischen Arbeitskollegen zu erleichtern, wurden noch vor der verpflichtenden Einführung des Judensterns die jüdischen Arbeiter in der Firma durch eine gelbe Armbinde gekennzeichnet. Im Jahresbericht 1941 heißt es dazu: »Trotz zahlreicher unerfreulicher Einzelfälle konnte im Allgemeinen durch energische Maßnahmen der Betriebsführung der Betriebsfrieden gewahrt werden.«
    Kaum einer der jüdischen Arbeiter war freiwillig in der Firma. Um den kriegsbedingten Mangel an Arbeitskräften in der deutschen Industrie auszugleichen, hatte der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1940 den verpflichtenden Arbeitseinsatz für jüdische Erwerbslose und Unterstützungsempfänger angeordnet, deren Zahl aufgrund von Berufsverboten und antijüdischen Erlassen stark gestiegen war. Durch die Beschäftigung dieser »dienstverpflichteten« Juden sowie von Kriegsgefangenen und zivilen »Fremdarbeitern« aus den Niederlanden, Belgien und Frankreich konnte die Beschäftigtenzahlder Ziegler-Elektro-AG bis 1942 von zweitausendfünfhundert auf dreitausend gesteigert und dort stabilisiert werden.
    Aus den Unterlagen der Personalabteilung und der Buchhaltung geht hervor, dass die jüdischen Arbeitskräfte zu einem deutlich geringeren Lohn angestellt wurden als ihre »arischen« Kollegen, was wohl auch ein Grund dafür war, dass sich die Ziegler-Elektro-AG wie viele andere Firmen gegen die Deportation jüdischer Arbeitskräfte wehrte und diese in vielen Fällen uk   – unabkömmlich, wie es damals hieß  – stellte. Die Konstruktion war absurd: Jüdische Arbeitskräfte wurden als wehr- und kriegswirtschaftlich wichtig reklamiert, als unabkömmlich für die Stärkung des Reichs.
    Allerdings konnte das ökonomische Interesse der Rüstungsindustrie an den günstigen jüdischen Arbeitskräften deren Deportation nicht verhindern. Am 27. Februar 1943 führten Gestapo und SS in allen Betrieben Berlins und Brandenburgs Razzien durch, um die letzten in der Region verbliebenen Juden zu ergreifen. Als Arbeitskräfte wurden sie durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus Polen, Russland und der Ukraine ersetzt, nachdem Hitler im November 1941 grundsätzlich beschlossen hatte, trotz enormer Sicherheitsbedenken der Polizeibehörden und des Innenministeriums, Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten in Osteuropa nach Deutschland zu holen.
    In den Akten der Ziegler-Elektro-AG findet sich über die Verhaftungen im Februar 1943  – die sogenannte »Fabrikaktion« – von SS und Gestapo nur ein kurzer Vermerk, der sich auf den Ersatz der jüdischen Arbeitskräfte durch solcheaus Osteuropa bezieht. Im Jahresbericht 1943 heißt es dazu: »Im Übrigen ist gerade die Abteilung Kernwicklung durch den plötzlichen Entzug aller Nichtarier sehr zurückgefallen, da die Ersatzkräfte (Französinnen, Russinnen, Polinnen) weniger zuverlässig und fleißig arbeiten als die vorher daran beschäftigten Nichtarier.«
    Und ein anderer Aktenvermerk stammt aus der Buchhaltung. Vor ihrem Transport nach Auschwitz mussten die jüdischen Deportierten bei der Oberfinanzdirektion Berlin-Brandenburg eine Vermögenserklärung abgeben, in der auch ihre noch ausstehenden Löhne von der Ziegler-Elektro-AG einzutragen waren. Diese überwies die Firma am 9. Oktober 1943 fristgerecht an die Oberfinanzkasse – und zahlte damit einen der Beträge, aus denen sich der von der SS errechnete und von Stuart Eizenstat bei der Entschädigungskonferenz zitierte »Verwertungsgewinn eines Arbeitssklaven« zusammensetzte.
    Die Zwangsarbeit der jüdischen Bevölkerung in der Rüstungsindustrie bereitete also deren Inhaftierung und Deportation in die nationalsozialistischen Vernichtungslager vor. Aber kann er seinen Großvater dafür verantwortlich machen? Die Deportationen im Rahmen der »Fabrikaktion« stellten die Firmenleitung vor das Problem, die verloren gegangenen Arbeitskräfte möglichst schnell zu ersetzen, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Es waren Verträge zu erfüllen – unter anderem die Entwicklung eines Minensuchgeräts bis zum Ende des Jahres 1943.
    Sein Großvater sah es nicht als seine Aufgabe

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