Was Liebe ist
eigentliche Firmenkapital.«
»Und das ist ohne Mithilfe von Zwangsarbeitern erwirtschaftet worden. Wir sprechen nicht über Techniker und Ingenieure, sondern von ungelernten Arbeitskräften an Drehbänken und Fertigungsbändern.«
»Von den wenigen, die noch leben. Im Übrigen stimmt das nicht, was du sagst. Auch in der Entwicklungsabteilung ist ein Fall von Zwangsarbeit dokumentiert.«
»Ach ja? Das wusste ich nicht. Verrückte Vorstellung, dass jemand an Bombenzündern gegen das eigene Volk herumtüftelt. In dieser Zeit war eben nichts logisch.« Rolf lässtden Wagen an eine Ampel heranrollen. »Moralisch gebe ich dir ja vollkommen recht. Wenn die Juden irgendwo in der Welt noch einen lebenden Nazi finden und ihn für seine Verbrechen aufknüpfen, soll mir das nur recht sein. Diese Typen haben es nicht anders verdient, ganz gleich, wie alt oder dement sie sind. Rübe ab und fertig. Aber mehr kann man heute nicht mehr tun. Die Deutschen haben sich da mental in eine verdammte Sackgasse hineinmanövriert. Sie kommen gedanklich von den KZs einfach nicht los. Wieso wird man hierzulande wie ein Triebtäter angesehen, wenn man sagt, dass es vorbei ist? Dass das Dritte Reich sich erledigt hat und zu Geschichte geworden ist. Darüber sollten die ewigen Bedenkenträger und Moralapostel einmal nachdenken. Die Verbrechen gehören der Vergangenheit an, aber aus irgendeinem Grund sind die Meinungsführer in diesem Land nicht in der Lage, das zu akzeptieren. Als würdest du ihnen ihr moralisches Lieblingsspielzeug wegnehmen. Ich frage mich ernsthaft, wie lange das noch so weitergehen soll.«
Er denkt darüber nach. »Ich glaube, diese Diskussion zu führen gehört zu uns. Sie ist ein Teil unserer Identität.«
»Von welcher Identität, welchem Wir sprichst du da? Für mich steckt dahinter ein ziemlich fataler Sippen- oder Volksgedanke: deutsches Blut, deutscher Geist. Finster. Ich fühle mich nicht im Geringsten als Deutscher, sondern als der, der ich bin. Ich brauche keine höhere Zugehörigkeit, und ich lasse mir auch keine einreden. Ich war heute Morgen in Paris und werde am Montag nach Madrid fliegen und von da aus nach Abu Dhabi. Glaube mir, ich könnte überall leben. Überall gibt es ein paar kluge Köpfe und einen Haufen Idioten.So ist die Welt, und ich habe kein Problem damit. Aus dem, was manche immer noch unter deutsch verstehen, bin ich schon lange ausgetreten. Nationale Identitäten sind etwas für Menschen, die nicht begreifen können, dass es Flugzeuge und Mobiltelefone gibt.«
Sie fahren auf einer breiten, leicht abschüssigen Straße auf eine Ampel zu, die von Grün auf Gelb springt. Der Wagen vor ihnen, ein alter großer Audi mit dunkelgrüner Lackierung, wird – ganz offenkundig, um das Gelb noch zu erwischen – schneller. Rolf schließt sich ihm an, auch wenn klar ist, dass es knapp werden wird. Eigentlich haben sie es nicht eilig.
Er rechnet jeden Moment damit, dass die Ampel auf Rot springt. In ihm tickt ein kleiner Zehntelsekunden-Countdown hinunter. Als Beifahrer hat er keinen Einfluss darauf, was geschieht. Er kann es sich nur ausrechnen. Wahrscheinlich werden sie noch gerade so eben über die Kreuzung jagen, bevor das PS-Feuer von der Seite freigegeben wird.
Doch dann kommt alles anders. Plötzlich flammen die Bremsleuchten des grünen Audis auf. Offenbar hat der Fahrer seine Entscheidung geändert. Alles geht jetzt sehr schnell. Auf einmal kommt ihnen die alte, zum Teil noch verchromte Stoßstange des Audis mit erstaunlicher Geschwindigkeit entgegen.
Die Ampel springt auf Rot. Er kann keinen klaren Gedanken fassen. Er hat nicht einmal Zeit, sich vor dem Zusammenstoß zu fürchten. Sein Körper spannt sich in Erwartung des Aufpralls an. Er spürt den Druck des Gurts. Es ist sein erster Autounfall.
Die Kollision ist weniger hart und katastrophal, als er sich vorgestellt hat. Sie erweist sich eher als weiche Restbremsung. Der Gurt hält ihn verlässlich und sicher auf seinem Sitz fest. Plötzlich stehen sie, plötzlich ist es still. Wenn sein Bewusstsein noch korrekt arbeitet, dann geht es ihm nach wie vor gut. Offensichtlich ist er unverletzt.
»Verfluchte Scheiße!«, brüllt Rolf und schnallt sich ab. Er stößt die Tür auf und springt heraus. Auch die Fahrertür des Audis öffnet sich. Der Unfall ist geschehen, jetzt beginnen die Diskussionen.
Er steigt aus und betrachtet den Schaden. Die beiden Fahrzeuge stehen in einem Abstand von etwas mehr als einem Meter da. Der Audi – ein
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