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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Autofossil – muss nach dem Aufprall einen Satz nach vorne gemacht haben. Das rechte Ende der Heckstoßstange ist aus der Verankerung gerissen und liegt auf dem Asphalt. Die Rückleuchten – jeweils vier rechts und links des Nummernschilds – sind zersplittert. Der Kofferraumdeckel ist aufgesprungen und hat einen Knick wie von einem Karateschlag. Es ist noch ein echter flacher Kofferraumdeckel, wie es ihn bei heutigen Fahrzeuggenerationen schon lange nicht mehr gibt.
    Der Fahrer ist Türke. Das ist es, was er spontan denkt, es könnte sich natürlich auch um einen anderen süd- oder südosteuropäischen Ausländer handeln. Er ist nicht sehr groß, stämmig, und hat dichte graue Haare und dunkle Augenbrauen. Über einer braunen Stoffhose mit Bügelfalte trägt er ein hellgrünes Hemd und ein etwas zu großes karamellfarbenes Jackett. Er betrachtet das demolierte Heck seines Wagens.
    Rolf bebt vor Wut. »Was sollte das?! Es gab überhaupt keinen Grund zu bremsen!«
    »War rot.«
    »Ich habe noch grün gesehen«, behauptet Rolf.
    »Grün?« Der Türke betrachtet den aufgesprungenen Kofferraum und kratzt sich am Hinterkopf. »Nein, war rot.«
    »Sie haben schon bei Grün gebremst! Dafür habe ich einen Zeugen«, fährt Rolf ihn an.
    In dem Moment öffnet sich die Beifahrertür des Audis, und es dringt ein lautes andauerndes Wehklagen heraus  – der Art nach eher ein Wimmern, aber so durchdringend und jammervoll, dass es sofort alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Der Türke eilt zur Beifahrertür und beugt sich in den Wagen.
    Da der Audi auf dem sicherheitstechnischen Stand der frühen achtziger Jahre ist, hat er noch keine Kopfstützen. Dadurch kann man erkennen, dass die Person auf dem Beifahrersitz ein rot gemustertes Kopftuch trägt. Der Türke hilft der Frau – seiner Frau wahrscheinlich, aber das ist eine Vermutung – vorsichtig aus dem Wagen. Sie erscheint kurz in der Tür, lässt sich dann aber wie entkräftet zurück auf den Sitz fallen. Dabei wird ihr jammervolles Wimmern noch einmal deutlich lauter.
    Hinter ihnen staut sich eine Autoschlange, gelegentlich wird gehupt. Die Straße ist zweispurig, und auf der linken Spur, die nicht blockiert ist, schiebt sich Auto um Auto vorbei. Dabei werden sie von den Insassen neugierig begafft. Ihr Desaster ist im Alltag der anderen ein Störfaktor, aber auch eine interessante Abwechslung.
    Rolf kommt zu ihm, während der Türke, in den Wagen gebeugt, seine Frau beruhigt. »Er hat mich in die Falle gelockt«, sagt er. »Er hat gebremst, um sich seine Schrottkarre von meiner Versicherung vergolden zu lassen.«
    »Vielleicht ist es ihm doch zu knapp geworden.«
    »Das ist naiv. Du bist kein Autofahrer.«
    Rolf steht gehörig unter Dampf, sonst hätte er diese Bemerkung nicht gemacht. Es gibt in ihrer Familie ein von allen befolgtes ungeschriebenes Gesetz, dass die Tatsache, dass er Epileptiker ist, niemals ein Grund dafür sein darf, ihn zu benachteiligen oder für weniger leistungsfähig zu halten. Er hat sich seine Anfallsfreiheit nach einjähriger Verlaufsbeobachtung ärztlich attestieren lassen und besitzt einen gültigen Führerschein. Wahr ist lediglich, dass er selten fährt. Er hat es sich nie angewöhnt. Er kommt ohne Auto bestens zurecht. Er fliegt, er fährt Zug, er fährt Taxi. Das ist eine bequeme und eigentlich privilegierte Form der Mobilität. Er hat Autofahrer nie beneidet. Für ihn sind sie ans Steuer gefesselt wie Galeerensklaven an ihre Ruder.
    Es gelingt dem Türken, das Jammern seiner Frau ein wenig zu dämpfen. Er richtet sich auf und kommt zurück.
    »Haben Sie Telefon? Wir brauchen Krankenwagen.«
    Rolf sieht ihn frostig an: »Wozu einen Krankenwagen !? Das hier ist ein verfluchter Blechschaden! In jedem Autoscooter rumst man heftiger zusammen.«
    Der Türke zieht eine Zigarettenschachtel und ein vergoldetes Feuerzeug aus der Tasche seines zu großen Jacketts. Er raucht Marlboro. Bedächtig zündet er sich eine an.
    »Frau hat starke Schmerzen.«
    »Ach ja? Wo denn?«
    »Überall. Braucht Krankenwagen.«
    Er schiebt die Marlboroschachtel zurück. Die weiße Zigarette wippt beim Reden unter seinem dunklen, dichten Schnauzbart. Er geht zurück zu seinem Wagen, um sich wieder seiner Frau zu widmen, deren Wimmern umso lauter wird, je weiter er sich entfernt.
    »Warum bist du denn verflucht noch mal nicht weitergefahren?!«, ruft Rolf ihm hinterher. »Bei euch fahrt ihr doch auch immer bei Rot durch!«
    Der Türke dreht sich noch einmal

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