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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Tisch, an dem sie sitzen. Sie trinken einen Milchkaffee, Koffie verkeert .
    »So einfach, wie meine Mutter sich das in ihrer ersten Amsterdam-Euphorie vorgestellt hat, war es natürlich nicht«, knüpft Zoe schließlich wieder an ihre Geschichte an. »Sie wollte beides: ein Kind haben und ihr eigenes Leben leben. Aber sie kam nicht ohne Männer aus. Meinen Vater habe ich nie zu Gesicht bekommen, dafür aber jede Menge anderer Ersatzväter, sieben oder acht mindestens, die alle versucht haben, irgendwie nett zu mir zu sein – jedenfalls solange sie mit meiner Mutter zusammen waren. Ihre Freundlichkeit mir gegenüber war der Preis, den sie dafür zu bezahlen hatten, dass sie mit meiner Mutter ins Bett gehen durften. Als Kind spürt man das. Und es ist demütigend. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst. Du kommst aus einer Familie mit einer langen Tradition. Ich komme aus dem Nichts.«
    Er denkt: Vielleicht wäre man besser dran ohne die Väter und Mütter und Großväter und Großmütter und ihre Unzulänglichkeiten und Fehler und Niederlagen.
    Er geht zur Toilette und nimmt seine Topamax ein. Als er zurückkommt, sieht er Zoe als Reflexion in einem großen goldgerahmten Wandspiegel zwischen dem Getränketresen und einem gusseisernen Ofen. Das schwache Licht des Kronleuchters und der leichte Zigarettendunst in der Luft geben dem Bild eine Art Patina: Zoe in einem Rembrandt.
    Nur dass sie telefoniert, passt nicht dazu. Sie ist wütend. Ihre Augen funkeln, ihre Lippenbewegungen sind hastig undnervös. Sie beendet das Gespräch und starrt das Telefon erbost an. Sie greift nach der Zigarettenschachtel. Als sie ihn kommen sieht, steckt sie das Telefon ein.
    Dass sie dreimal miteinander geschlafen haben, krempelt nicht ihr ganzes Leben um. Sie kann telefonieren, mit wem sie will. Aber gerade weil das so ist, könnte er sich fragen, warum sie es ausgerechnet dann tut, wenn er auf Toilette ist.
    Sie essen getoastetes Käsesandwich, frittierte Fleischbällchen mit Senf – Bitterballen – und trinken Rotwein dazu. Er trinkt kaum etwas, Zoe dafür um so mehr. Mittlerweile weiß er ja, dass sie abends trinkt, und nicht wenig.
    Beim zweiten Glas sagt sie: »Als ich fünfzehn war, hat meine Mutter in Südholland an der Küste ihre Galerie aufgemacht. Wie schon gesagt: Ich habe mich dort zu Tode gelangweilt und bin nach zwei Jahren gegangen.«
    »Und hier? Was hast du gemacht? Studiert? Gesungen?«
    »Mich durchgeschlagen.«
    Der Weg zurück zum Hotel führt durch das Rotlichtviertel. Fahrräder sind an Laternenpfähle geschlossen wie überall in der Stadt. Als sie über eine Brücke gehen, spiegeln sich auf dem Wasser der Gracht die Neonreklamen. Live Sex, Red Light Casino, Love Club . Vor dem Sex Palace sieht es so aus, als würde das Wasser brennen. In einer Backsteinfassade sind drei hohe Fenster, rot erleuchtet wie ein Bühnenraum: Koberfenster, erklärt ihm Zoe. Prostituierte in Dessous sitzen darin, angestarrt von den Männern auf der Straße. In einer engen Gasse gehen sie so nah an den Fenstern vorbei, dass sie den Prostituierten dahinter die Hand geben könnten, wäre nicht das Glas.
    Er legt den Arm um Zoe. Er möchte, dass sie seine Zuneigung spürt, aber er will sie auch beschützen, obwohl er sich in den Gassen eigentlich nicht bedroht fühlt. Sie ist betrunken. Nicht sehr stark, aber es entgeht ihm nicht. Sie hat drei oder vier Gläser Rotwein getrunken und außer den kleinen Bitterballen und einigen Häppchen Goudatoast nichts gegessen. Sie schmiegt sich an ihn, lässt sich führen, sein Puls beschleunigt sich. Dass sie sich geliebt haben, war gut. Aber dass sie hier Arm in Arm durch Amsterdam schlendern, ist beinahe noch besser.
    Im Hotel rutscht sie auf einen der Hocker vor der Bar. Sie kippt ein wenig nach links, weil die Bewegung zu schwungvoll ist, aber sie fängt sich. Er hält es für keine gute Idee, dass sie noch etwas trinken will, aber er möchte den Abend nicht dadurch trüben, dass er sie daran erinnert, wie viel Rotwein sie bereits gehabt hat. Es steht ihm nicht zu, sich ihr gegenüber als Stimme der Vernunft oder des Gewissens aufzuspielen. Sie sind kein Paar.
    Mit dem Barmann redet sie Holländisch. Es ist sonderbar, sie in der fremden Sprache reden zu hören. Es macht sie zu einer anderen, einer unbekannten Person – und eigentlich noch aufregender. Der Cocktail, den sie bestellt, nennt sich Flying Dutchman und ist eine Mischung aus Genever, Zitronensaft und Grenadine auf

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