Was Liebe ist
Eiswürfeln.
Er nimmt auch einen. »Mir gefällt Amsterdam.«
»Ganz schön dekadent, was?«
»Sagen wir verrucht.«
»Nur verrucht? Live-Sex auf der Bühne?«
»Dekadent ist mir zu moralisch«, sagt er.
»Würdest du dir’s ansehen?«
»Live-Sex? Brauch ich nicht.«
»Du meinst, es ist für die gedacht, die es brauchen?«
»Für wen sonst?«, sagt er.
Sie raucht, vorgebeugt, beide Ellbogen auf den Tresen gestützt. Einmal rutscht sie über die Kante ab, aber sie fängt sich. Sie bestellt noch einen Flying Dutchman . Vielleicht braucht sie den Alkohol, um den Rest ihrer Geschichte zu erzählen.
Sie sagt: »Eigentlich hatte ich ja überhaupt keinen Grund, meinen Vater zu suchen. Den Arsch, der mich nicht wollte …«
»Erzähl mir die Geschichte morgen«, sagt er.
Beim Zigarettenanzünden hat sie Mühe, mit dem Flämmchen die Spitze zu treffen. »Ich hatte mal wieder Streit mit meiner Mutter …«
»Es ist besser, wir reden morgen«, sagt er noch einmal.
Sie bläst den ersten Zug aus. »Keine ihrer Beziehungen hat lange gehalten. Aber sie ist unfähig, das Muster darin zu erkennen.«
»Wir alle haben unsere Muster«, sagt er.
»Zuerst« – das Z klingt inzwischen ein wenig wie ein scharfes S: sssuerst – »ist alles perfekt, aber dann wollen die Typen entweder zu viel von ihr oder zu wenig, nutzen sie aus, oder sie lassen ihr keine Luft zum Atmen, wollen nur Sex oder kriegen keinen mehr hoch … und dann ist es irgendwann aus, und sie sieht sich wieder mal als Opfer der Unfähigkeit der Männer, sich ernsthaft auf eine Beziehung einzulassen.«
»Vielleicht können wir das wirklich nicht.«
Es ist jetzt egal, was er sagt.
»Ich habe sie angeschrien. Du kannst nicht zu mir kommen und mir dein Leid mit den Männern klagen. Ich bin deine Tochter ! Wenn sich hier jemand beim anderen ausheulen darf, dann ich bei dir . Vielleicht bist du es ja, die die Männer mit deinen Neurosen und Zwangsstörungen verjagt, so wie du meinen Vater verjagt hast …«
»Und dann?«
»Dann bin ich nach Berlin zu dieser Wohnung gefahren, der Wohngemeinschaft. Ich habe meine Mutter gezwungen, mir die Adresse zu geben. Sie wollte das eigentlich nicht. Sie wollte nicht, dass ich nach meinem Vater suche.«
»Gab es die Wohngemeinschaft denn noch?«
»Piet hat aufgemacht.«
»Piet?«
»Die WG hatte sich längst aufgelöst, aber das konnte ich nicht wissen. Ich habe gesagt: Sind Sie mein Vater? Und Piet hat mich von oben bis unten gemustert, sein berühmtes Lächeln aufgesetzt und gesagt: Ich hoffe nicht …« Ihre Augen tränen, weil immer wieder Rauch hineindringt. »Scheiße. Und ich falle auf diese blöde Anmache auch noch rein.«
Nach dem dritten Flying Dutchman gelingt es ihm, sie zum Gehen zu bewegen. Auf der steilen Treppe muss sie sich an ihm festhalten, weil sie es sonst nicht schaffen würde. Ihr Körper, so nah, erregt ihn, aber an Sex ist nicht mehr zu denken.
Im Zimmer lässt sie sich aufs Bett fallen. Während er ihr die Hose auszieht, murmelt sie irgendetwas, das vielleicht:Ich liebe dich, heißen könnte, aber ebenso gut: Ich liebe ihn.
Er bemüht sich, ihr die Hose auszuziehen, ohne dass der Slip mit herunterrutscht. Sie schläft schnell ein – wenn einschlafen das richtige Wort ist. Sie verliert das Bewusstsein. Er geht zum Fenster und zieht den Vorhang zu. Auf der anderen Seite der Gracht steht eine Prostituierte in einem der Koberfenster. Ihre Umrisse sind kaum zu erkennen, aber ihr weißer Bikini leuchtet bläulich im schwarzen Licht.
ZWÖLF
AM NÄCHSTEN MORGEN geht es Zoe schlecht. Sie übergibt sich im Bad, davon erwacht er. Das hilflose Würgen dringt in seinen Halbschlaf. Er braucht nicht lange, um zu verstehen, was es zu bedeuten hat. Er steht auf, und sein erster Impuls ist es, zu ihr zu gehen. Aber dann fragt er sich, ob ihr das recht wäre.
Wäre es ihr recht, in diesem körperlichen Elend gesehen zu werden? Er kennt sie zu wenig, um das entscheiden zu können. Sie haben sich geliebt. Aber einen Menschen leiden zu sehen ist vielleicht noch intimer und persönlicher, als ein paar Sekunden des Glücks und der Ekstase miteinander zu teilen.
Zoe kommt aus dem Bad. Sie sieht müde aus und bleich, aber nicht erschreckend. Ihr Gesicht ist zu schön und zu eigen, um wirklich verwüstet und hässlich zu sein. Sie hält sich dennoch die Hand vors Gesicht, als wäre sein Blick der Kegel eines Scheinwerfers, der sie blendet.
»Du hättest mich bremsen sollen.«
»Tut mir leid.«
Sie
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