Was Liebe ist
du willst.«
»Nein. Es gefällt mir, wenn du rauchst.«
»Das hat mir noch keiner gesagt.«
Wie beim ersten Mal, als er sie hat rauchen sehen, fällt ihm ihre Art zu inhalieren auf: tief und melancholisch.
»Ich wollte in Berlin meinen Vater finden.«
»Erzählst du mir die Geschichte?«, fragt er.
»Vielleicht«, sagt sie.
»Du brauchst nicht am Fenster zu stehen«, sagt er. »Du kannst auch im Bett rauchen. Dann bräuchtest du dir das Laken nicht umzuschlingen. Das wäre es wert.«
Sie lächelt. »Das sagst du jetzt.«
»Ich zahle jeden Preis, um dich nackt zu sehen.«
»Alles klar. Wir sind in den Walletjes.« Sie lässt das Laken von den Schultern rutschen. »Wahrscheinlich falle ich im Fenster nackt weniger auf als mit Laken.«
Im Bett, nach der Zigarette, legt sie sich auf die Seite und stützt sich auf den Ellbogen. »Ich bin mit siebzehn nicht nur hierhergezogen, weil ich mich am Meer gelangweilt habe. Eigentlich war der Grund dafür meine Mutter. Du fändest sie wahrscheinlich ganz in Ordnung. Eine charmante Hobbykünstlerin, die für Sommertouristen Deiche und Tulpen à la van Gogh malt. Jetzt jedenfalls.«
»Und warum ist sie nicht in Ordnung?«
»Wie will man so was erklären? Hier in Amsterdam war sie fast jeden Abend unterwegs, und das hat mich irgendwie geprägt. Unser Verhältnis war immer schwierig. Als Kind willst du nicht nachts wach im Bett liegen und dich voller Angst fragen, wann deine Mutter nach Hause kommt, die gerade an einer Bar oder in irgendeinem Bett fünf Jahre ihres Lebens nachholt.« Sie richtet sich auf. »Sie hat vor meiner Geburt fünf Jahre in einem DDR-Gefängnis gesessen. Versuchte Republikflucht. Ich müsste ihr also eigentlich vergeben.«
Er schweigt. Was soll er dazu auch sagen?
»1969 wurde sie von der westdeutschen Regierung freigekauft und hat in Berlin meinen Vater kennengelernt. Er lebte in einer Wohngemeinschaft, sie zog dort ein und war dann ziemlich schnell schwanger. Warum reden wir überhaupt darüber?«
»Ich glaube, weil du es willst.«
»Ja, mag sein …« Nun raucht sie doch eine im Bett. »Mein Vater hat versucht, sie zur Abtreibung zu überreden. Deswegen ist sie nach Amsterdam gefahren, wo Abbrüche damals legal waren. So ist sie zum ersten Mal aus Deutschland rausgekommen. Es hat sie überwältigt. Amsterdam hat irgendetwas mit ihr gemacht. Sie hat sich gegen den Abbruch entschieden und ist hiergeblieben. Sie sagt, sie hätte hier zum ersten Mal das Gefühl gehabt, wirklich frei zu sein.«
Er denkt an seine eigene Mutter. Freiheit. Das Wort hat für ihn in diesem Moment einen bitteren Beigeschmack. Hat seine Mutter es sich nicht zu leicht gemacht, als sie gegangen ist? Sie hat nichts riskieren müssen, um frei zu sein. Sie konnteeinfach gehen und musste für ihre Freiheit nicht mit fünf Jahren Haft in einer Diktatur bezahlen. Vielleicht ist Freiheit nur dann etwas wert, wenn man sie sich erkämpft.
Sie schlafen noch einmal miteinander. Weil das Fenster offen steht, hört er dabei irgendwann ein Glockenspiel. Ganz in der Nähe muss eine Kirche sein. Die Initiative zum Sex ist von ihm ausgegangen. Er ist sich nicht sicher, ob Zoe auch diesmal dabei kommt. Vielleicht ist sie in Gedanken zu sehr bei ihrer Mutter und ihrer Geschichte. Was ist mit ihnen hier in Amsterdam? Sind sie frei?
Als sie am späten Nachmittag an den Grachten entlangschlendern, versucht er sich ein paar Straßennamen einzuprägen. Das gelingt ihm bei Damstrat oder Singel, aber bei Nieuwezijds Voorburgwal oder Oudezijds Achterburgwal wird es schwierig. Auf einer alten Brücke über die Herengracht – Zoe gibt ihm eine Stadtführung – betrachtet er die historischen Gebäudefluchten zu beiden Seiten des Wassers. Die vielen Giebelformen der Grachtenhäuser fallen ihm auf – geschwungen, treppenförmig oder barock ornamentiert. Das Laub der Ulmen ist herbstlich gefärbt. Auf einem Treppengiebel leuchten zwei goldene Kugeln zu beiden Seiten eines Engels, der eine Posaune in den blauen Nachmittagshimmel reckt.
Als es dämmert, setzen sie sich in eine kleines Café mit Bodendielen, Wänden und Tischen aus dunklem Holz. Durch drei große Fenster mit quadratischen Streben fällt das letzte Licht des Tages auf die braunen Flächen. An den Wänden hängt Trödel: alte Uhren, Bronzeteller, vergilbte Radierungen hinter spiegelndem Glas. Die Wand am Treppenaufgangist mit Delfter Fayencen gekachelt. Ein roter, orientalisch gemusterter Teppichläufer liegt quer auf dem
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