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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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es denn sonst gewesen sein!«
    Zwischen Den Haag und Rotterdam wechseln sie ein paarmal die Autobahn. Von der A4 auf die A13, von dieser auf die A20. Zoe gibt ihm knappe Anweisungen, ansonsten schweigt sie. Er fragt nicht mehr, wohin sie will. Irgendwann sinkt die Fahrbahn unter Bodenniveau. Auf einem Schildquer über einer hell erleuchteten Einfahrt steht Beneluxtunnel . Quadratische Lampen hängen in kurzem Abstand unter der Decke. Das Licht flackert. Im Moment geht es ihm gut.
    Die Signale, die sein Körper ihm ohne Topamax sendet, sind ungewohnt und schwer zu deuten. Er durchlebt keine abgründigen Angstzustände, er ist nicht niedergeschlagen oder sogar depressiv. Im Gegenteil. Er ist wach und offen und durchlässig für das, was geschieht.
    Zoe ist aus ihren Schuhen geschlüpft und stützt die Füße mit den dunkel lackierten Zehennägeln gegen die Armaturenkonsole über dem Handschuhfach. Ihre Beine sind leicht gespreizt. Es sieht so aus, als würde das Straßenlicht in ihren Schoß fließen.
    Es ist Zeit für die wehmütigen Balladen der Nacht. Stella By Starlight, Round Midnight, You Don’t Know What Love Is. Er schaltet das Radio ein und erwischt Nachrichten. Er nimmt an, dass es Nachrichten sind. Gelegentlich tauchen im Sprachstrom bekannte Namen auf: Bill Clinton, Tony Blair. Muss man wirklich wissen, was in der Welt vorgeht? Man erträgt all die Katastrophen, Desaster und Grausamkeiten ja doch und vergisst sie schließlich. Was er dagegen nie vergessen wird, ist, wie Zoe ihm Ik hou van jou ins Ohr geflüstert hat.
    »Warum glaubst du, dass ich nicht weiß, was Liebe ist?«
    »Es ist nur ein Song«, sagt sie.
    »Was ist Liebe?«
    »Niemand weiß das.«
    »Bleib bei mir.«
    »Du kennst mich nicht.«
    »Das hast du schon mal gesagt.«
    Sie dreht sich zu ihm. »Und ich sage es dir noch einmal: Du kennst mich nicht. Zum Beispiel diese Dreiergeschichte mit meiner Freundin. Ich sage dir jetzt, wie sie ausgegangen ist.«
    »Es interessiert mich immer noch nicht.«
    »Ich bin mitgegangen!«
    »Gut, dann weiß ich’s jetzt.«
    »Aber ich habe kein Geld genommen.«
    »Du hast es umsonst gemacht?«
    »Ich wollte sein Geld nicht. Das ist alles.«
    Hinter Rotterdam nimmt der Verkehr ab. Nach zwei weiteren Tunnels wird die Straße einspurig. Irgendwann verengt sich das Land, und kurz darauf fahren sie auf einem schmalen Damm über eine weite Flussmündung oder einen Meeresarm. Außer ihnen sind nur noch wenige Fahrzeuge unterwegs.
    »Glaubst du wirklich, dass Piet uns folgt?«
    »Vielleicht ist das ja Liebe«, sagt sie nachdenklich.
    Die Wasserfläche zu beiden Seiten ist dunkel. Er ist froh, weniger Lichteindrücke verarbeiten zu müssen. Ein Anfall würde nicht nur sein Leben gefährden, sondern auch das von Zoe. Müsste er nicht anhalten und sie darum bitten, ihn am Steuer abzulösen? Aber dann müsste er ihr auch erklären, warum.
    Sie tanken auf einen Rasthof. Zoe steigt aus, um zu rauchen. Sie zieht seinen Mantel über, weil es sonst zu kalt wäre. Sie entfernt sich von den Zapfsäulen und bleibt im Lichtschein des Bistros stehen.
    Sie greift in die Manteltasche nach ihren Zigaretten, weil sie den Mantel für einen Moment mit ihrer Jacke verwechselt. Er flucht leise. In einer der beiden Taschen steckt die alte Topamax-Schachtel, die er im Hotel eingesteckt hat. Vielleicht spielt es keine Rolle. Woher soll Zoe wissen, wofür oder wogegen Topamax ist? Wer weiß schon, wofür Luminal, Gabapentin, Timox oder Lamictal ist? Es gibt abertausende von Medikamenten und ebenso viele Krankheiten. Zoe ist Jazz-Sängerin und keine Medizinerin.
    Sie bemerkt den Irrtum mit dem Mantel und zieht die Hand aus der Tasche – ohne Schachtel. Hinter einem Damm ragen schwach beleuchtete Segelmasten in die Nacht. Man hat das Gefühl, unter den zugehörigen Booten zu sein. Vermutlich ist es so. Ohne den Damm müssten sie ertrinken.
    Nach zwanzig oder dreißig Kilometern balancieren sie auf einem Asphaltband durch die wassergesäumte Dunkelheit. Ein Wagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern kommt ihnen entgegen. Das Licht trifft ihn frontal. Er hebt die Hand, um sich vor der Helligkeit zu schützen. Einen Moment lang sieht er nichts und verzieht nach rechts. Sie kommen der Leitplanke zum Meer bedenklich nahe, Zoe schreit auf. Er zieht das Steuer nach links und schafft es, den Wagen zwischen Leitplanke und Mittelstreifen zu halten, bis das entgegenkommende Fahrzeug vorüber ist.
    »So ein Wichser!«, schimpft Zoe.
    Am Ende des Damms

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