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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Vielleicht ist er zu wach. Er denkt an gestern, an Tante Lisa, die, ohne zu zögern, ins Wasser gegangen ist. Das Meer ist viel ruhiger als gestern. Ein sanft glitzerndes Tuch.
    Er sagt: »Sollen wir schwimmen gehen?«
    »Jetzt? Hier?«
    »Jetzt. Hier.«
    »Steck mal einen Zeh ins Wasser.«
    »Zehen sagen immer nein.«
    »Ich weiß, worum es dir geht: Du willst mich nackt sehen. Dafür bist du sogar bereit, dir den Tod zu holen.«
    »Spricht das nicht für mich ?«, sagt er.
    Sie lächelt: »Du willst mich? Jetzt? Hier?«
    »Vielleicht bist du morgen nicht mehr da. Oder wenn ich aus dem Wasser komme.«
    »Das glaubst du von mir?«
    Er hätte es nicht sagen sollen, aber er hat es gesagt. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Sein Puls fliegt, es ist ihm egal. Zoe hat recht: Er will sie. Er legt seine Hände auf ihre Schultern, um sie sanft zu Boden zu drücken und sich auf sie zu rollen. Sie lehnt sich ein wenig zurück, dann schlägt sie ganz unerwartet seine Hände fort. Er bekommt Übergewicht und schafft es gerade noch, sich aufzufangen, bevor er in den Sand fällt.
    Sie springt auf, um die Düne hinaufzulaufen. Er sieht ihre Füße, die sich neben seiner Hand in den Sand drücken. Er greift – ein Reflex – nach ihrem Fußgelenk, bekommt es zu fassen und packt so fest zu, dass sie sich aus dem Griff nicht befreien kann. Sie stolpert, der Sturz schleudert Sand in sein Gesicht. Sie zerrt mit ihrem Bein an seinem Arm, aber er lässt nicht los. Er ist stärker als sie, viel stärker. Er zieht sie auf dem Sand zu sich herunter wie auf einer Rutschbahn. Sie liegt auf dem Bauch und zappelt wie ein Fisch.
    Er bekommt auch das andere Fußgelenk zu fassen, presst ihre Beine zusammen und setzt sich auf ihre Waden. Mit den frei gewordenen Händen greift er um ihre Taille, öffnet die Hose und zieht sie zusammen mit dem Slip herunter auf die Knie. Er atmet schwer, sie atmet schwer. Sie windet ihre Beine aus der Hose, dreht sich auf den Rücken und tritt nach ihm.
    Sie sieht ihn herausfordernd an. Ihr Blick sagt: Du wirst es nicht schaffen. Love, Fight  – er erinnert sich. So haben siesich kennengelernt. Sie unterschätzt ihn. Er packt ihre Fußgelenke und zwingt sie neben seinen Knien in den Sand. Sie lässt es geschehen, wehrt sich nicht mehr, bis er sich die Hose ausgezogen hat. Doch dann, als er sich über sie beugt, stößt sie ihn wieder hart weg.
    Sie schlägt nach ihm. Sie trifft ihn auf der Brust, an den Schultern und im Gesicht. Die Sonne kommt ihm auf einmal grell und brennend vor. Was er sieht, verschwimmt vor seinen Augen. Sie gibt nicht auf. Er presst ihre Arme in den Sand. Ihre Augen sind weit geöffnet. Sie sehen sich an. Auf einmal glaubt er zu begreifen, was sie will. Er soll sie ficken.
    Sie liegen im Sand. Sein Puls beruhigt sich wieder. Sie reden nicht. Worüber auch. Brauchtest du das? Zoe steht auf. Auf dem Rücken liegend, sieht er sie an. Sie zieht sich T-Shirt und BH aus. Die Sonne steht hinter ihr, alles ist blau – der Himmel, das Meer. Sie steht da wie jene Eva – falls es Eva ist – in Mondrians Triptychon. Die Frau nach dem Sündenfall. Vielleicht muss man nackt sein, um die Wahrheit zu erkennen. Sie geht zum Meer, taucht ein.
    Den Abend verbringen sie in Middelburg, einer hübschen Provinzstadt mit schmalen Backsteingassen, ein paar baumgesäumten Grachten und einem prächtigen gotischen Rathaus. Zoe überwindet ihre Abneigung gegen historische Themen und erzählt ihm, dass die Stadt nach einem deutschen Angriff im Zweiten Weltkrieg vollständig abgebrannt ist. Alles, was man sieht, wurde danach wieder aufgebaut.
    Am Marktplatz betreten sie eine Mischung aus Bar und Café. Seine innere Überreizung ist etwas abgeklungen, aberimmer noch spürbar. Eigentlich müsste er zum Umfallen müde sein. Das Café ist mit viel dunklem Holz eingerichtet, das kennt er ja schon. Aber darüber hinaus steht auf einem kleinen Podium ein Klavier.
    Nachdem es am Nachmittag noch einmal fast spätsommerlich warm war, ist das Wetter nun umgeschlagen. Es hat begonnen zu regnen. Kaum vorstellbar, dass sie noch vor ein paar Stunden in der Sonne gelegen und Champagner getrunken haben. Eigentlich hat Zoe den Champagner getrunken. Jetzt sitzt sie vor einem Glas Rotwein. Über den Punkt wird er irgendwann mit ihr reden müssen. Aber was heißt bei ihnen schon: irgendwann? Was wird morgen, übermorgen, in einer Woche sein? Er hat noch nie so wenig über seine Zukunft gewusst wie in diesem Moment.
    Er nippt an seinem

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