Was Liebe ist
Bier. »Bist du hier mal aufgetreten?«
Sie schüttelt den Kopf. »Das nicht. Aber hin und wieder finden hier spontane Gigs und Sessions statt. Dabei habe ich zum ersten Mal Jazz gehört und bin danach süchtig geworden. Da war ich fünfzehn oder sechzehn.« Sie legt ihre Zigarettenschachtel auf den Tisch. »Was ist mit dir? Ich meine, mit dir und der Musik?«
In der Luft liegt süßlicher Hanfgeruch.
»Wie schon gesagt: Ich hatte ein paar Jahre Unterricht.«
»Und das war wirklich alles?«
Was er sagen müsste, kann nicht gesagt werden. Dass er Epileptiker ist, dass er deswegen aufgehört hat zu spielen. Oder macht er damit einen Fehler? Sollte er genau das tun? Ist es nicht an der Zeit, dass Zoe mehr von ihm erfährt als das wenige, das man braucht, um sich zu lieben? Nach dem,was am Strand war, können sie sich auch den Rest ihrer Geheimnisse verraten.
Sie sagt: »Ich kann das kaum glauben. Ich habe dich Klavier spielen hören. Und ich habe mitbekommen, wie du mit Ivo über Light My Fire gesprochen hast. Über Septimen und Bluesakkorde.«
Er winkt ab. »Piet hat das eingefädelt, weil er mich vorführen wollte.«
»Das ist ihm nicht gelungen. Ich habe dir zugehört und gedacht, dass du recht hast. Ivo liegt bei Light My Fire irgendwie daneben.«
»Er hat seinen Stil.«
»Wie würdest du Light My Fire spielen?«
»Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«
»Ich glaube nicht, dass du das musst.«
Nein, er muss das nicht. »Ich würde den Song auf einem ostinaten a im Bass aufbauen. Und die Septimen in den ersten beiden Akkorden würde ich durch kleine Sexten ersetzen, die einen schwebenderen Klang ohne Auflösungstendenz haben. Die Refrainakkorde würde ich rein spielen, aber auch auf dem a im Bass. Dadurch bekommt man nach dem zweiten Fire einen überraschenden H-sieben. Nur beim abschließenden E-Dur könnte man im Bass auf e gehen, um die angestaute Spannung aufzulösen. Das müsste ich ausprobieren.«
»Dann lass es uns ausprobieren«, sagt sie und weist auf die Bühne mit dem Klavier.
So weit wird er nicht gehen. »Oh, nein …«
»Warum nicht?«
»Ich spiele nicht mehr. Erst recht nicht öffentlich.«
Sie gibt nicht auf. »Du spielst, ich singe.«
Inzwischen ist es im Café voll, Freitagabend. Bei der Vorstellung, in einer Jazzbar als Zoes Begleiter in Erscheinung zu treten, erhöht sich sein Pulsschlag. Zoe fängt nach vier oder fünf Zigaretten und einem weiteren Glas Rotwein noch einmal davon an. Diesmal sagt er ja. Doch kaum ist sie aufgesprungen, um am Tresen den Auftritt anzukündigen und die technischen Details zu klären, beginnen seine Hände zu zittern.
Es wird hell auf der kleinen Bühne. Die Beleuchtungsfarbe wechselt ein paar Mal von Gelb auf Rot, eine Nuance Blau schimmert auf, das Gelb wird schwächer. Macht er einen Fehler? Er befürchtet, dass es so ist. Jemand stellt ein Mikrofonstativ und eine Monitorbox auf die Bühne. Zoe kommt dazu und klopft ein paarmal gegen das Mikro. Der Gesangsmonitor zu ihren Füßen reagiert mit kurzen ploppenden Signalen. Die Cafégäste drehen sich zur Bühne.
Er kann jetzt keinen Rückzieher mehr machen und steht auf. Am Klavier wird er ruhiger. Er streckt seine Finger aus und lässt sie über den Tasten schweben. Sie zittern nicht mehr. Dennoch ist er körperlich in einer Art Ausnahmezustand: physisch absolut übermüdet, aber aufgrund der fehlenden Topamax-Dämpfung – vermutet er – sensorisch hellwach.
Zoe verwandelt sich. Bühne und Licht machen sie größer. Geblendet von den Strahlern, blinzelt sie ins Publikum und lächelt. Wie immer, wenn er sie in den vergangenen Tagen Niederländisch hat reden hören, findet er sie besonders erregend.
Er versteht nicht genau, was sie sagt, es ist nicht viel, vor allem wohl, dass das, was nun folgt, spontan und gänzlich ungeplant ist. Danach senkt sie den Blick, und dann ist es an ihm zu beginnen. Er legt die linke Hand auf die Tasten. Sehr leise schlägt er ein a an und lässt den Ton bei getretenem Pedal verklingen. Mit der Rechten legt er c-e-f darüber, dann cis-d-fis. Die Klänge sind so schwebend, wie er sie sich vorgestellt hat. Unbestimmt, aber nicht beliebig. Er wiederholt das a und den Wechsel der Akkorde, verändert nur geringfügig ihre Lagen.
Zoe steht am Mikrofon, gehüllt in blasses Gold und kühles Blau, die Farben Mondrians. Sie zieht das Mikrofon zu sich, bis ihre Lippen die Aufnahmekugel fast berühren. You know that it would be untrue … Das Publikum applaudiert,
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