Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
Vom Netzwerk:
Hafen an der Küste hinter deinem Städtchen –
    (gesprochen, rauh, dramatisch:) Jawohl! Laß dir nichts einreden! Haste auch!!!
    Conferencier: Halt, halt! So geht das nicht. 3
    Nach diesen Beispielen könnte man meinen, das Übersetzen von Stil sei eine Übung im Persiflieren und der Übersetzer müsse aus den in der Zielkultur vorhandenen Stilen den einen auswählen, der dem »anderen« ungefähr entspricht. Viele literarische Übersetzer tun genau das. Wenn ich beispielsweise ein neues französisches Werk lese, gehe ich allemal im Kopf die englischen Stile durch, die dazu passen könnten, und wenn ich eine neue Übersetzung beginne, blättere ich oft in den Büchern auf meinem Regal und rufe mir die Besonderheiten der »Stilentsprechung« ins Gedächtnis, die ich im Kopf habe. Diese Vorstellung von Stil als einem kulturell bedingten Reservoir sprachlicher Mittel, die typisch sind für einen Autor, eine Epoche, ein literarisches Genre oder eine Schule, kollidiert mit einer anderen weit verbreiteten Vorstellung davon, was Stil ist: die irreduzible Eigenart einer bestimmten Individualsprache nämlich. Kurzum: Wenn Stil »unnachahmlich« ist, wie kann er dann nachgeahmt werden?
    Die Konfusion um den Stil begann in den vergoldeten Hallen der Académie française, einer Institution, begründet von Ludwig XIII. zur Förderung und Pflege der französischen Sprache. Im Jahr 1753 fand ein Naturwissenschaftler Aufnahme in den Kreis der »Unsterblichen«, wie die Mitglieder genannt werden. Georges-Louis de Buffon, ein bedeutender Botaniker, Mathematiker und Naturforscher, hielt eine außergewöhnliche Antrittsrede, die seither als »Diskurs über den Stil« bekannt ist. Darin sicherte er seinen Zuhörern – den 39 Akademiemitgliedern, die ihn gerade als 40. gewählt hatten – zu, die Erhebung eines bloßen Naturwissenschaftlers in einen so hohen Rang werde die Rhetorik nicht von ihrem angestammten Platz am Gipfel der französischen Kultur stürzen. Das könnte sogar ernst gemeint gewesen sein – darauf verlassen würde ich mich aber nicht. In seinem viel zitierten, meist aber falsch verstandenen Fazit betonte Buffon, es komme hauptsächlich auf die Kunst der Sprache an. Wissenschaftliche Entdeckungen zu machen, erklärte er, sei im Grunde leicht, sie versänken jedoch rasch wieder in der Vergessenheit, wenn sie nicht mit Eleganz und Schönheit erläutert würden. Bloße Tatsachen seien schließlich keine menschlichen Errungenschaften – sie gehörten zur natürlichen Welt und lägen daher hors de l’homme – »außerhalb der Menschheit«. In der Redekunst hingegen fänden das Vermögen und der Geist des Menschen seinen höchsten Ausdruck: Le style est l’homme même (der Stil ist der Mensch selbst).
    In diesem Sinne, als Synonym für Eleganz und Erlesenheit, werden »Stil« und verwandte Wörter noch heute gebraucht. »Stylische« Kleidung ist, was eine Personengruppe für elegant hält; stilgerecht Ski zu fahren, zu tanzen oder Gurkenschnittchen zu servieren heißt ebenfalls, dies nach jeweiliger Mode schön zu tun. Buffons Stil ist ein gesellschaftlicher Wert. Niemand kann willkürlich festlegen, was stilvoll ist, es sei denn, andere stimmen dieser Festlegung zu. Ebenso ist Eleganz bei Schreibstilen an inhaltlich wie vage auch immer ausgefüllte Übereinkünfte darüber gebunden, was im Sprechen und Schreiben als modisch, angemessen, sozial gehoben und so weiter gilt.
    Wenn die von der Quell- und der Zielkultur verwendeten Sprachen gehobenen Stil mit den gleichen Mitteln ausdrücken, bereitet es keine größeren Probleme, übersetzerische Entsprechungen zu finden. Sind die Sozialstrukturen der Quellkultur feiner ausdifferenziert als in der Zielsprache, kommt es zu einer gewissen Nivellierung: Die unterschiedlichen sozialen Implikationen, die beispielsweise Estimado señor und Apreciado señor als Anreden in einem förmlichen spanischen Brief haben, lassen sich auf Englisch, wo man nur »Dear Sir« sagen kann, nicht abbilden. Zum Ausgleich für solche Verluste, die noch schwerer wiegen, wenn das Übersetzen über größere kulturelle Entfernungen hinweg vermitteln muss, etwa beim Transfer vom Japanischen ins Französische, erfindet ein Übersetzer vielleicht zielsprachliche Analogien für Schichtungen, die zur sozialen Welt des Originals gehören, und wird hinterher wahlweise der Altertümelei, der Herablassung oder zu starker Quellentreue geziehen. Noch vertrackter wird es, wenn das soziale Register der Quellsprache

Weitere Kostenlose Bücher