Was macht der Fisch in meinem Ohr
niedrig ist. Quellsprachliche Formen, die als regional, ungeschliffen, ungebildet oder tabuisiert gelten, mit entsprechenden Formen in der Zielsprache wiederzugeben, trifft offenbar auf unüberwindliche Vorbehalte, wohl deshalb, weil der Übersetzer riskiert, als der jeweiligen Randgruppe oder Unterschicht zugehörig zu gelten. Folglich wird das soziale Register der Quelle in der Zielsprache meist ein oder zwei Stufen angehoben. Die soziale Komponente des »Stils« von einer Sprache in die andere zu übertragen ist nicht leicht.
Der Romancier Adam Thirlwell hat behauptet, das Wort »Stil« bedeute nach 1857 nicht mehr dasselbe wie zuvor. 4 Wie er überzeugend darlegt, verlor das Wort seine alte Bedeutung – fast auf einen Schlag: Bezeichnete es vor diesem Datum die Eleganz einer Ausdrucksweise, so galt es danach nur noch für ein Element der Prosa – den Satz. Schuld an dieser radikalen Verkürzung des Stilbegriffs waren Gustave Flaubert, sein Roman Madame Bovary und die zahlreichen Bemerkungen über Sätze, die Flaubert in seine teils spöttischen Briefe an seine Freundin Louise Colet einstreut. Seit 1857 oder um den Dreh, so Thirlwell, denken Kritiker und Leser beim Stil eines Schriftstellers unnötigerweise nur noch an die untergeordneten Merkmale von Grammatik und Prosodie, die man innerhalb der Grenzen eines großen Anfangsbuchstabens und eines Punkts vorfindet. Henri Godin, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein Buch über »die Stilmittel des Französischen« schrieb, war sich sehr sicher, dass Stil und Syntax ein und dasselbe sind und ihre perfekte Harmonie in der Literatur … Flauberts erreichen.
Da die grammatischen Formen, die Laute der einzelnen Wörter und die typischen Sprechrhythmen zweier beliebiger Sprachen nicht identisch sind (wäre es anders, würden wir sie dieselbe Sprache nennen), wurde Stil durch die »Flaubert-Wende« mit einem Schlag unübersetzbar. Thirlwell geht es vor allem darum zu zeigen, dass das Unsinn ist – und der Roman eine wahrhaft internationale und übersprachliche Kunstform. 5
Im ausgehenden 19. Jahrhundert geriet die Vorstellung von Stil als »Ästhetik des Satzes« in Konflikt mit einer völlig anderen Auffassung, die aus deutschen Universitäten nach Frankreich und Großbritannien vordrang. In den Fachbereichen der romanischen Philologie konzentrierte man sich insbesondere auf kanonische Autoren, weil deren Werke, wie es hieß, einen besonderen, innovativen, von den Normen der Sprachgemeinschaft abweichenden Sprachgebrauch erkennen ließen und daher die sprachliche Entwicklung maßgeblich bestimmten. Dichter, so wurde behauptet, seien nicht einfach Verwender der Sprache, sondern ihre Schöpfer, und eine Sprache sei kein glattes, rundes Ganzes, sondern eine runzelige alte Kartoffel voller Höcker und Dellen, aus denen sich die Geschichte ihrer Entstehung ablesen lässt. Die Stilistik , hundert Jahre lang mit Eifer betrieben und in den Essays von Leo Spitzer (1887–1960) zu einem glanzvollen Höhepunkt geführt, war ein aufregender wissenschaftlicher Ansatz, drehte sich aber im Kreis: Einerseits bildet die Sprache eines »bedeutenden Werks« die irreduzible Individualität des »Ichs« eines großen Schriftstellers bis in feinste Details ab, andererseits macht eben das, was sich etwa in der Sprache Racines ausdrückt, analysiert man ihren Stil nach einer bestimmten Methode, dessen »Ich« oder Essenz aus. Stil , so verstanden, ist per definitionem unnachahmlich – das ist die Krux. Und kann er schon in ein und derselben Sprache nicht nachgeahmt werden, ist es vergebliche Liebesmüh, ihn übersetzen zu wollen.
Aber das trifft nicht zu. Die sprachlichen Besonderheiten, an denen Spitzer Facetten von Racines »Ich« erkennen zu können meinte, findet man auch bei Racines Zeitgenossen, sofern sie in denselben literarischen Genres schrieben. Dennoch war es gerade der von Philologen beharrlich verteidigte Grundsatz, dass alle großen Autoren auf einzigartige und unverwechselbare Weise schreiben, der die historische Betrachtung des Begriffs »Stil« neu beflügelte. Sie setzte mit Buffons »Discourse« ein, übernahm seine Maxime, le style, c’est l’homme même (»Stil ist, was uns zu Menschen macht«), hackte das letzte Wort ab und recycelte den Rest – le style, c’est l’homme –, woraus »der Stil ist der Mensch« wurde. Der berühmte Oxford-Gelehrte R. A. Sayce notierte in seiner Studie Style in French Prose (1953): »An den Details des Stils … offenbaren
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