Was macht der Fisch in meinem Ohr
Hörensagen auf den Buchmessen in aller Welt beigetragen haben. Literaturübersetzer erfahren von ihrem nächsten Buch in der Regel erst, wenn ein Verlag es in seine Programmplanung aufgenommen hat.
In Großbritannien und den USA gibt es nicht viele Verleger, die außer französischer noch andere Literatur im Original lesen. Eine Folge dieser fast peinlichen Situation ist, dass das Vorliegen einer Übersetzung in Französisch eine Vorbedingung oder zumindest eine nützliche Empfehlung für ein Werk ist, das Eingang in die Weltliteratur finden will. 2 Der Welterfolg von Autoren wie Ismail Kadare und Javier Marías beispielsweise verdankt sich dem Umstand, dass Verleger in Amerika und Großbritannien ihre Werke in französischer Übersetzung gelesen haben. Vielfach verlassen sich Verlagshäuser, die Literatur für eine Übersetzung ankaufen, ausschließlich auf Berichte und auf Hörensagen, und der englische Übersetzer ist häufig der Einzige in der Kette, der etwas über das Buch oder seinen Verfasser weiß. Das ist beängstigend und bringt eine Verantwortung mit sich, die weit über das schon schwierige Geschäft hinausgeht, eine akzeptable und erfolgreiche Übersetzung zu produzieren.
Die Neuübersetzung antiker und moderner »Klassiker« findet unter völlig anderen Vorzeichen statt. Hier stellen sich ganz andere Fragen zu den Kompetenzen von Übersetzern als bei der Übertragung neuer Werke.
Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg brachte Penguin eine Neuübersetzung von Homers Odyssee heraus, die von E. V. Rieu stammte. Sie wurde ein Überraschungserfolg. Wie auf der Website des Verlags nachzulesen, »macht« Rieus lebendiger Stil »dies zu einem Buch, das jedermann lesen kann und sollte«. Klassiker waren nicht mehr der gebildeten Minderheit vorbehalten.
»Klassiker« bedeutet hier die Literatur der griechischen und römischen Antike. Frühere Übersetzungen dienten hauptsächlich dem Zweck, den in exklusiveren Schulen erteilten Latein- und Griechischunterricht zu ergänzen, und so war Rieus umgangssprachliche Version eine Offenbarung für die weniger Privilegierten. Ihr Erfolg und die Buchreihe, die im Anschluss daran lange fortgeführt wurde, waren auch Ausdruck einer wichtigen sozialen Bestrebung Großbritanniens in der Nachkriegsperiode – nämlich breiten Schichten der Bevölkerung Bildungschancen zu eröffnen, wie sie sie in diesem Umfang noch nie besessen hatten. Bestand die Reihe der Penguin Classics zunächst vor allem aus Texten der Antike und des Mittelalters, darunter Nevill Coghills berühmte Chaucer-Übersetzung, reichte das literarische Spektrum schon bald vom Alten Ägypten bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert. Ein so breit angelegtes Unternehmen stand und fiel mit der Einbindung von Übersetzungen. »Der Herausgeber beabsichtigt, Übersetzer zu gewinnen, die seinem eigenen Beispiel folgen und dem Publikum gut lesbare und ansprechende Versionen großer Literatur in modernem Englisch vorlegen, ohne überflüssige Verkünstelung und Gelehrsamkeit und ohne den archaischen Ruch und das fremde Idiom, das viele existierende Übersetzungen für den modernen Geschmack so unbekömmlich macht.« Rieus Marschbefehl weist eindeutig in Richtung auf einen adaptiven Übersetzungsstil. Anfangs versuchte er, Akademiker für sein Vorhaben zu gewinnen, musste aber feststellen, dass nur wenige das Englisch schreiben konnten, das ihm vorschwebte. Er wandte sich daraufhin an Schriftsteller wie Robert Graves, Rex Warner und Dorothy L. Sayers, an einen Kreis von Personen, in dem Gelehrte und eigenwillige Sonderlinge gleichermaßen vertreten waren. Ihnen allen wurde jedoch ein strenger hauseigener Stil auferlegt, was dazu führte, dass sich die ersten 200 Penguin Classics lasen, als seien sie allesamt in ein und derselben Sprache geschrieben – im flüssigen, anspruchslosen Englisch von etwa 1950. Es war eine bemerkenswerte Leistung. Die Buchreihe diente Millionen von Menschen zur Bildung und ist wohl einer der historischen Gründe dafür, dass ein glättender, normierender und domestizierender Stil beim Übersetzen ins Englische favorisiert wird.
Die Anliegen, die mit diesen früheren Neuübersetzungen verfolgt wurden, waren jedoch nicht unbedingt dieselben wie bei späteren ähnlichen Projekten. Abgesehen von besonderen historischen Umbrüchen wie 1945 (oder den Jahren unmittelbar nach der Russischen Revolution, als Maxim Gorki seinen Verlag »Weltliteratur« aus der Taufe hob), liegen Neuübersetzungen fast immer
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