Was macht der Fisch in meinem Ohr
verworrenen Diskussionen über den französischen und den englischen Freud gäbe es nicht, wüsste man genau, wie man das Gebiet, in das seine Arbeit fällt, bezeichnen soll. Bei den meisten sozialwissenschaftlichen Übersetzungen stellt sich die Frage nicht, gilt es doch vielerorts als ausgemacht, dass die USA hier führend sind, weshalb Übersetzungen aus den englischen Sozialwissenschaften in der Regel sprachliche Besonderheiten des Originals bewahren, die die Qualität der Arbeit beglaubigen sollen. In der Literatur aber herrscht keine vergleichbare kollektive Einigkeit darüber, wo »die Spitze« ist. Sollte die Übersetzung eines neuen ausländischen Romans Anleihen bei Art und Stil eines englischen Prosaautors nehmen? Natürlich nicht, würden manche sagen: Wir wollen etwas anderes, Philip Roth kennen wir schon. Wieder andere würden sagen: Aber selbstverständlich! Wir möchten etwas lesen, was unserer heutigen Vorstellung vom Romanstil in englischer Prosa entspricht. Macht doch nichts, dass es ein albanisches oder chinesisches Buch ist, wenn es ein guter Roman ist, soll er auch klingen wie einer – den wir kennen.
Es gibt keine Lösung für diesen Streit. Man könnte sagen, literarisches Übersetzen ist leicht, weil man genau genommen eigentlich tun kann, was man will. Ebenso gut könnte man sagen, literarisches Übersetzen ist unmöglich, weil sich gegen alles, was man tut, ernsthafte Einwände erheben lassen. Literarisches Übersetzen ist anders als alles andere Übersetzen. Es dient Lesern auf ganz besondere Weise. In seiner bescheidenen Art zeigt es ihnen, häufig unbeabsichtigt, aber zwangsläufig, jedes Mal, was Übersetzen ist.
28. WAS ÜBERSETZER TUN
Sprecher natürlicher Sprachen wiederholen ständig, was sie selbst oder andere gesagt haben, und sie benutzen dafür ihre natürliche Fähigkeit zur Umschreibung und einen gut bestückten Werkzeugkasten:
– Sie ersetzen ein Wort durch ein anderes mit gleicher Bedeutung (Synonymie).
– Sie nehmen einen Teil einer Äußerung und ersetzen ihn durch einen längeren und komplizierteren (Erweiterung).
– Sie nehmen einen Teil einer Äußerung und ersetzen ihn durch einen Platzhalter, eine Abkürzung, eine Kurzform oder gar nicht (Verkürzung).
– Sie nehmen einen Teil einer Äußerung, rücken ihn an eine andere Stelle und verschieben die anderen Wörter entsprechend (Themenwechsel).
– Sie sorgen mit dem geeigneten Werkzeug aus ihrem Sprachkasten dafür, dass ein Teil der Äußerung deutlicher in Erscheinung tritt als die anderen (Wechsel der Betonung).
– Sie fügen Ausdrücke hinzu, die sich auf Tatsachen, Zustände oder Meinungen beziehen, die im Original nur implizit vorkamen, und verdeutlichen so, was sie (oder der Gesprächspartner) eben gesagt haben (Präzisierung).
– Wollen sie das Gesagte jedoch bis aufs i-Tüpfelchen genau wiedergeben, im selben Ton, mit denselben Wörtern, Formen und Sprachfiguren, wird das nicht gelingen (es sei denn, sie sind gewiefte und geübte, mit einem feinen Gehör begabte Imitatoren und arbeiten im Varieté).
Übersetzer tun genau das Gleiche, wenn sie die Worte eines anderen wiederholen, und die Tatsache, dass ihr »Nachsprechen« in dem Medium stattfindet, das wir »andere Sprache« nennen, ändert nichts an dem Werkzeugkasten ihrer diskursiven Mittel.
Sie bedienen sich dieser Mittel allerdings zu einem bestimmten Zweck, der nicht unbedingt gegeben ist, wenn man bei Unterhaltungen in einer Sprache etwas absichtlich oder aus Versehen wiederholt. Sie wollen die kommunikative Kraft der ursprünglichen Äußerung bewahren – die gesamte Bedeutung nicht nur des Gesagten, sondern auch der Bedeutung, die es in dem Kontext hat, in dem es gesagt wurde –, und zwar in einer Weise, die angemessen ist für den Kontext, in dem die zweite Formulierung gehört oder verwendet werden soll. Sie wollen nichts verändern – wohingegen wir, wenn wir etwas wiederholen, ohne es zu übersetzen, meist eine mehr oder weniger abweichende Ansicht zum Ausdruck bringen wollen.
Hier ist ein kleines Beispiel für Veränderungen, wie Übersetzer sie vornehmen, damit sie eigentlich nichts ändern müssen. Das mehrsprachige in-flight magazine , das für Reisende im Eurostar ausliegt, enthält Grafiken, die über die Errungenschaften des durch den Kanaltunnel abgewickelten Hochgeschwindigkeits-Bahnverkehrs informieren. In einer Sprechblase prangt die Zahl »334,7 km/h«, daneben wird auf Englisch erläutert, dass dies die
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