Was macht der Fisch in meinem Ohr
denen mehrere Sprachen gleich sind«, wie Schleiermacher sie nennt, bleibt für alle anderen »der Eindruck des Fremden« erhalten, wenn sie Werke lesen, die ursprünglich nicht in ihrer Muttersprache geschrieben worden sind. Aufgabe des Übersetzers ist, »eben dieses Gefühl, daß sie ausländisches vor sich haben, auch auf seine Leser fortzupflanzen«. Das aber ist ein diffiziles und überdies paradoxes Unterfangen, es sei denn, die Zielsprache verfügt bereits über Konventionen für die Darstellung des jeweiligen »Anderen« und seiner quellsprachlichen Kultur, auf die man zurückgreifen kann.
Einen Text fremd klingen zu lassen ist für den Übersetzer daher nur dann eine echte Option, wenn er aus einer Sprache arbeitet, zu der in der Empfängersprache und -kultur bereits eine Beziehung besteht. Den historisch längsten und tiefsten Rapport dieser Art hat die englischsprachige Welt insgesamt mit dem Französischen. In den USA ist für die meisten jungen Leser Spanisch kürzlich zur bekanntesten Fremdsprache aufgestiegen. Das Englische verfügt daher über viele Mittel zur Darstellung von genuin Französischem, und das amerikanische Englisch verfügt heute auch über eine Palette von Möglichkeiten zur Darstellung von genuin Spanischem. Schon weniger gut können wir Deutsches und, in begrenztem Umfang, auch Italienisches vermitteln. Wie aber steht es mit Yoruba? Mit Marathi? Mit dem Tschuwaschischen? Oder einer beliebigen anderen der fast 7000 anderen Sprachen auf der Welt? Warum irgendeines der einem englisch schreibenden Autor zu Gebote stehenden Mittel »genau wie Yoruba klingen« sollte, lässt sich nicht vernünftig begründen; er kann auch nicht authentisch zeigen, wie es ist, auf Tschuwaschisch zu schreiben. Wir wissen einfach nicht, wie das gehen soll. Das Vorhaben, Übersetzungen zu verfassen, deren Klang eine Spur der »authentischen Fremdheit« des Originals bewahrt, ist im Grunde nur durchführbar, wenn das Original nicht besonders fremd ist.
Andererseits können übersetzte Texte interessierten und aufgeschlossenen Lesern durchaus etwas vom »Sound« und von der Stimmung, ja sogar etwas von den syntaktischen Eigenarten des Originals vermitteln. Das können Originale auch – Chinua Achebes Okonkwo oder Das Alte stürzt bezieht Elemente aus afrikanischen Sprachen ein, und in Upamanyu Chatterjees English, August erhält man eine gute Einführung in den Wortschatz des Hindi und des Bengali. Wird Fremdheit aber nicht thematisiert – ist sie nicht explizit Gegenstand der Geschichte –, sind Vorkenntnisse über die Originalsprache unverzichtbar, damit sich ein Fremdheitseffekt überhaupt einstellen kann. Um überhaupt zu merken, dass dieser Satz aus dem Englischen sein soll eine Übersetzung, die bewahrt das Fremde, man muss wissen, dass englische Verben stehen an zweiter Stelle im Satz. Sonst klingt es unfreiwillig komisch, ist ungelenk, unsinnig und so weiter – alles andere als »Englisch«, »Deutsch« oder was immer.
Chaplins Moderne Zeiten und Adriano Celentano treiben mit gesungenen und gesprochenen Sprachlauten unterhaltsame Scherze mit im Wortsinne fremdem Klang. Auch eine vor wenigen Jahren erschienene englische Übersetzung der Verwandlung könnte im Kopf des Lesers ja durchaus in einem anderen Lautsystem ertönen. Gregor Samsas Worte in direkter Rede – »›Oh God‹, he thought, ›what a gruelling job I’ve picked! Day in, day out – on the road.‹« (»›Ach Gott‹, dachte er, ›was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt! Tagaus, tagein auf der Reise.‹«) – würden in dem Fall als schriftliches Abbild von Lauten aufgefasst, die sich zum Zweck noch genauerer Verdeutlichung auch so transkribieren ließen:
»Och Gott«, e saut, »vot a kruling tschop aif picked! Tay in, tay out – on ze rote.«
Das ist natürlich albern: Kein Übersetzer will, dass sein Text gesprochen wird wie auf einer Theaterbühne. Trotzdem sind wir genötigt, eine ernste Frage zu stellen: Wenn derlei mit Bewahrung des fremden Klangs in der Übersetzung eines ausländischen Texts nicht gemeint ist, was genau soll dieser fremde Klang dann sein? Nach welchen Kriterien befinden wir darüber, ob die folgende Passage authentische Spuren des von Jacques Derrida geschriebenen Französisch enthält oder ob sie nur schrecklich schwer zu verstehen ist?
Die positiven und klassischen Wissenschaften von der Schrift können Fragen dieser Art nur unterdrücken. Bis zu einem bestimmten Punkt ist diese
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